Backstage: Hille Perl und Giso Grimm – Teil 2

von DigitaleBuehne_Admin

Von den musikalischen Experimenten der OrlandoViols zur Technik der ov-box

Backstage: ORLANDOviols (Teil 2)

Fee Altmann und Stefan Winter im Gespräch mit Hille Perl und Giso Grimm über musikalische Experimente und die Technik der OV-Box

In ihren Experimenten mit räumlichen Strukturen der Musik verwendeten die ORLANDOviols ihr eigenes In-Ear-Monitoring-System, über das sie sich beim Spielen abstimmen konnten, ohne sich zu sehen. Im ersten COVID Lockdown entwickelte Giso Grimm aus dem System die ovbox, die es dem Ensemble möglich machte, von verteilten Orten aus online gemeinsam zu proben. Aber auch für den Live-Konzertauftritt im digitalen Raum haben die ORLANDOviols die ovbox eingesetzt.

Giso Grimm. Wir haben für das Publikum einen virtuellen Konzertsaal gebaut, mit einer virtuellen Akustik, inspiriert von einem real existierenden Konzertsaal, dem Bremer Sendesaal. Von jeder Musikerin und jedem Musiker haben wir in Echtzeit die Klangquellen abgenommen und sie in einen neuen virtuellen Raum zusammengemischt. Dazu haben wir visuelle Komponenten ergänzt, so dass das Publikum sich in einer virtuellen Welt auch interaktiv umsehen kann.

Fee Altmann. Im virtuellen Raum habt ihr euch daran gewöhnt, euch auf eine neue Art zu hören. Ist die Übertragung in den analogen Raum zurück dann ein Problem?

Hille Perl. Nein, überhaupt nicht. Wenn wir über die ovbox proben oder zusammen spielen, dann müssen wir uns sehr gut spüren. Wenn Giso schnelle Noten spielt, dann sehe ich in meinem inneren Bild, wie er aussieht, oder wenn Frauke einen Einsatz gibt, und ich höre sie leicht atmen, dann kenne ich ihre Geste, die dazu gehört. Als Giso bei mir studiert hat, haben wir manchmal mit dem Rücken zueinander gespielt, oder mit geschlossenen Augen geübt, damit das Visuelle das Gehirn nicht so besetzt.

Fee Altmann. An der Filmuniversität habe ich die Wellenfeldsynthese und Spatial-Audio kennengelernt, in einem Labor, in dem ein Hörspiel eingesprochen wurde. Der Autor, Alfred Behrens hatte das Hörspiel so gebaut, das es nicht visuellen, sondern akustischen Regeln folgte. Die verschiedenen Erzählebenen waren im Raum angeordnet; die Erzählung wurde so zu einer Art gesprochener Plastik, zu einem dreidimensionalen Objekt, das man gehört hat. Im akustischen Reiz liegen Möglichkeiten, die wir nicht abrufen, weil wir so sehr bildorientiert sind.

Giso Grimm. Aus der Wahrnehmungsforschung weiß man, dass das Visuelle dominiert, das Hören aber sehr wichtig ist für die Orientierung im Raum. In unseren Konzerten haben wir Licht eingesetzt, um den Fokus der Zuhörer wieder nach hinten, in den Raum zu schieben, um ihnen zu ermöglichen,  sich in dieses räumliche Hören einzulassen.

Stefan Winter. Das Publikum hat im digitalen Konzert mit der ovbox ein neues Hörerlebnis. Gerade in der künstlerischen Forschung sehen wir zur Zeit ein intensives Experimentieren mit digitalen Klang- und Bildräumen und vor allem mit hybriden Formen, wo im analogen Raum ein digitales Element dazugegeben wird.

Giso Grimm. Ich glaube nicht, dass das reine Online-Konzert die Form der Zukunft sein wird. Die reale Präsenz von Musik bleibt weiter wertvoll, und eine Hybrid-Version ist sicher spannend. Vor kurzem haben wir ein Konzert aufgeführt, wo eine Musikerin digital zugeschaltet war. Wir hatten eine gemeinsame Lichtsteuerung, ihr Konzertsaal war ihr Wohnzimmer, auch sie hatte dort Bühnenlicht. Einige sind hier, andere dort, und wir spielen trotzdem gemeinsam ein Konzert.

Hille Perl. Diese neue Technologie bringt viele künstlerische Möglichkeiten, die neu ausgeschöpft werden können.

Giso Grimm. Wir haben ein neues Projekt mit dem Komponisten Lee Santana, der für Gambenensembles und neue Technologien komponiert. Ich arbeite daran, dass man Instrumenteneffekte in die ovbox  einbringen kann, so dass man sie nicht nur als Audio-Übertragungs-System, sondern auch als Effektgerät nutzen kann. Wir planen ein räumliches Set-up im Konzertsaal, in dem jede Musikerin und jeder Musiker eine ovbox hat, und an jedem Lautsprecher auch eine ovbox ist. Es ist als Netzwerk gedacht, viele Grenzen werden darin aufgehoben.

Hille Perl. Die ovbox ist aber auch ein grandioses Tool für die Probe und den Unterricht. Ich kann mit der Box proben, ohne dass ich vorher und nachher viel Fahrzeit habe. Ich habe die ovbox in meine Hochschule für Künste Bremen eingebracht, die jungen Leute, die bei uns studieren, haben keine Scheu, sich auf neue Technologien einzulassen. Meinen holländischen Kollegen habe ich ovboxen nach Amsterdam und nach Den Haag geschickt, und sie haben damit Studierende bei uns unterrichtet. Da öffnet sich ein neues Feld für Kooperationen – vorausgesetzt, man hat einen Breitbandanschluss.

Fee Altmann. Wir sind gerade dabei, für unsere Nutzer:innen ein starkes Support-System aufzubauen, und eine andere Linie in die Zukunft ist die Unterstützung, die wir anbieten, wenn Nutzer:innen einen Glasfaser-Internetanschluss gelegt bekommen möchten. Digital-stage-ovbox, digital-stage-pc und digital-stage-web sollen allen zur Verfügung stehen.

 

Teil 1 des Gesprächs erschien im Newsletter Februar 2022 und können hier nachgelesen werden.

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