Beate Lex und Maximilian Westphal im Gespräch - Teil 2

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test: Die Medien- und Filmgesellschaft (MFG) Baden-Württemberg

Die Digitale Bühne im Test

Beate Lex / Foto: MFG Baden-Württemberg

Die Medien- und Filmgesellschaft (MFG) Baden-Württemberg

Beate Lex und Maximilian Westphal im Gespräch - Teil 2

Kick-Off-Event für den Kultur-Hackathon "Coding da Vinci" Baden-Württemberg 2022 im ZKM Karlsruhe / Foto: Tanja Meisner

Beate Lex. Wir haben über die Jahrhunderte in der Kunst erlebt, dass die Bedingungen und die Medien der Produktion, das, was der einzelnen Künstlerin, dem einzelnen Künstler zur Verfügung steht, die künstlerische Arbeit beeinflusst, und umgekehrt. Das verhält sich nicht anders mit den digitalen Medien und deren Möglichkeiten. Diese Situation bietet immer wieder die Möglichkeit zu reflektieren, wie wir damit umgehen wollen, sowohl für die Produktion wie für die Rezeption. Und es stellt sich immer wieder neu die Frage „Was ist Kunst?“, und „Was ist die Künstlerin, der Künstler?“ Ein zentrales Thema für die Künste wird in Zukunft sicherlich die Künstliche Intelligenz sein. Was bedeutet vor dem Hintergrund der Künstlichen Intelligenz menschliche Kreativität und wie gehen wir mit diesen Fragen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten um?

Stefan Winter. Welche Linien in die Zukunft sehen Sie für die Künste unter dem Zeichen der Digitalisierung?

Maximilian Westphal. Ich hoffe, dass alle Projektionen nicht zutreffen werden und die Kunst mich überraschen kann, sonst wäre es keine Kunst! Alle Erwartungen, die ich formuliere, werden vielleicht enttäuscht oder in ganz anderer Form erfüllt. Wird es zwei- oder dreistündige Opern noch geben bei Aufmerksamkeitsspannen, die so weit nicht mehr reichen? Dienste wie Netflix- verändern Sehgewohnheiten, sei es der individuelle Abruf von Inhalten oder episodenhaftes Erzählen. In den Künsten werden neue Formen gefunden, neue Wege des Experimentierens, die wir uns jetzt noch nicht vorstellen können. Und trotzdem wird es klassische Musikaufführungen und Konzertabende weiterhin geben. Aber vielleicht wird sich das Publikum davor anders informieren und sich auch danach anders damit auseinandersetzen.

Stefan Winter. Das ist eine schöne Vision von einem unscharfen Horizont - der Dialog mit dem Unbekannten zieht mich vorwärts, aber erst wenn ich konkret vorwärts gehe, zeigen sich klarere Gestalten.

Beate Lex. Ich sehe es ähnlich und möchte zugleich betonen, dass ich weiter stark an kulturelle Live-Erlebnisse glaube, allein auf Grund unserer leiblichen Existenz. Ich habe letzte Woche im Konzert die achte Symphonie von Schostakowitsch gehört, der Saal war voll. Die Live-Erfahrung wird mit Sicherheit erhalten bleiben, aber es wird sich ausdifferenzieren, was in der Vermittlung davor und danach passiert, das wird eine stärkere Relevanz bekommen, und dafür werden eigene Formate entwickelt werden. Wir können jetzt länderübergreifend arbeiten, wir können Communities weltweit ansprechen, die aber sehr stark definiert sind, und daher wird es auch zu einer stärkeren Ausdifferenzierung des Angebots kommen, in einzelnen Musikgenres und -richtungen und genauso im Bereich des Theaters.

Maximilian Westphal / Foto: MFG Baden-Württemberg

Stefan Winter. In einer Tendenz, die wir jetzt schon sehen, erspart uns die digitale Technologie viele Reise- oder Anfahrtswege. Das fängt für die Digitale Bühne an beim digitalen Musikunterricht, der sich sehr schön ergänzen lässt mit analogen Formaten, und gerade dann sinnvoll ist, wenn die Anfahrtswege länger sind für die Kinder oder Jugendlichen. Und es geht bis hin zur internationalen Zusammenarbeit, in der ein Chor eine Dirigentin aus einem anderen Land in einer hybriden Probe zuschalten kann, um von ihr zu lernen. Wir haben auch schon gesehen, dass ein Musikensemble oder ein Theater die ersten Proben digital organisiert und dann die Generalprobe und die Aufführungen wieder analog oder auch hybrid. Die vielen eingesparten Fahrt- und Flugwege unterstützen unsere Bemühung um Nachhaltigkeit.

Beate Lex. Wir hören Ähnliches auch aus den Museen – etwa wenn es um die Ausstellungsvorbereitung geht, finden Treffen mit den Designer*innen, die früher Präsenz verlangten, abwechselnd auch digital statt. Das sind letztlich Möglichkeiten, effektiver zu arbeiten, und unseren CO2-Fußabdruck massiv zu verringern durch die Einschränkung unserer Reisetätigkeit. Baden-Württemberg hat im Juni 2022 einen Leitfaden herausgebracht zur Green Culture, in dem verschiedene Landeseinrichtungen aus dem Bereich der Performing Arts, aber auch aus dem Museumsbereich, zusammengearbeitet haben. Die MFG Baden-Württemberg war auch beteiligt, weil wir seit vielen Jahren im Bereich der Grünen Filmproduktion deutschlandweit Vorreiter sind. Der Leitfaden umreißt Arbeitsfelder und zeigt einen Aktionsradius auf, wie man an Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit herangehen kann.

Stefan Winter. Wer eine digitale Aufführung oder ein digitales Konzert besucht, macht oft die Erfahrung, „näher am Event“ zu sein - in einem Rock- oder Popkonzert ist die Bühne oft weit entfernt, in der Oper sitze ich vielleicht in einer hinteren Reihe und sehe das Geschehen auf der Bühne nicht so gut. Im digitalen Raum habe ich einen generellen Überblick und kann in Nahaufnahmen auch Details nachvollziehen, aber es bleibt eine andere Art von Präsenz als das Live-Erlebnis. Was ist im Kern der Unterschied? Und welches Verhältnis werden diese beiden Formen in der Zukunft haben?

Maximilian Westphal. Darin liegt auch eine Herausforderung für die Kulturinstitutionen, die in ihrem Programm priorisieren müssen. Wie viele digitale Veranstaltungen kann ich bieten? Wo setze ich meine Akzente? Wo finde ich mein Publikum? Bei Online-Angeboten besteht auch eine Konkurrenz durch die großen Streaming-Anbieter - in der sich einige Kultureinrichtungen stark behaupten, weil sie wissen, wohin sie mit ihrem Angebot gehen wollen, weil sie ihre Zielgruppe erreichen, und weil sie auch die medialen Details und Eigenheiten gefunden haben, die überzeugen. Aber auf der anderen Seite erlebe ich einen Konzertabend, und da habe ich auch das Husten des Nachbarn und den Drink davor, das ist schön und gehört dazu. Wo und wie man Kulturangebote erleben will, ist eine individuelle Entscheidung.

Beate Lex. Am Ende entscheidet immer auch die Nachfrage seitens des Publikums. Die Institutionen müssen sich daher noch stärker fragen „Wer bin ich? Was ist der Kern meines Angebots?“ Sie müssen ihr Angebot beständig weiterentwickeln und dabei immer wieder Antworten finden auf die Fragen „Wie kann ich Relevanz entfalten für mein Publikum, für die Gesellschaft? und „Wer ist mein Publikum, und wie kann ich es am besten erreichen?“ Ich denke, das Angebot wird sich in Zukunft noch stärker ausdifferenzieren, und jede Institution muss mit ihrer Unique Selling Proposition ihren eigenen Weg finden.

Teil 1 des Gesprächs erschien im Newsletter Januar 2023.

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