Das KlangForum Heidelberg. Ekkehard Windrich im Gespräch

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test:

Die Digitale Bühne im Test

Foto: Thilo Ross

Das KlangForum Heidelberg. Ekkehard Windrich im Gespräch

Ekkehard Windrich studierte Violine und elektroakustische Musik, war Konzertmeister des österreichischen ensembles für neue musik Salzburg und ist seit 2021 ausschließlich als Dirigent tätig. Am KlangForum Heidelberg arbeitete er zunächst mit dem ensemble aisthesis, einem Instrumentalensemble mit Fokus auf Kompositionen des 20. und 21. Jhds., und später auch mit der SCHOLA HEIDELBERG, einem Vokalensemble, das den Brückenschlag zwischen Alter und Neuer Musik sucht. In Nachfolge von Walter Nußbaum, der das KlangForum 1993 gegründet hat, übernimmt Ekkehard Windrich im Juli 2025 die künstlerische Leitung. „Ich mache einen Transformationsprozess durch von dem reinen Spezialisten für zeitgenössische Musik, der ich als Violinist war, der große Teile der Musikgeschichte und ihre ideengeschichtlichen Wurzeln wenig kannte, hin zum künstlerischen Leiter eines Forums, das mit seinen beiden Ensembles die Alte und die Neue Musik verbindet.“ In der Konzeption des KlangForums wird das musikalische Jetzt bereichert durch das Bewusstsein, dass es in eine lange Tradition zurückreicht, und umgekehrt werden weit vergangene Kompositionen der Alten Musik in der Gegenwart neu lebendig. „Die Grundidee hat mich überzeugt, ich werde sie dann etwas anders ausbuchstabieren. Die zeitgenössische Musik hilft in der Regel sehr gut, die Ohren für das Alte zu schärfen, und meiner Erfahrung nach gilt das andersherum ebenso. Unsere Ensembles sind in einem gewachsenen Biotop verankert, und in der Weiterführung wird es mein Ziel sein, auch neue Publikumsschichten zu erschließen.“

Ekkehard Windrich hat sich, ausgehend von Guillaume de Machaut, Johannes Ockeghem und Josquin des Prez, immer weiter mit den Kompositionen der Vokalmusik vom späten Mittelalter bis in die Renaissance auseinandergesetzt. Auf einer zweiten Linie vollzieht er nun ideengeschichtlich nach, wie der gregorianische Choral entstanden ist, auf welche Texte er sich bezieht, und wie die lateinischen Texte gesprochen wurden. „Aus dem Weg in die Tiefe der Geschichte entstehen Ideen und Projekte, die diese Musik für uns in der Gegenwart noch einmal neu begreiflich machen sollen.“ Eine der zentralen und wichtigsten Strömungen der Interpretation älterer Musik zielt darauf, die Musik so zu spielen, wie sie in ihrer Zeit vermutlich geklungen hat. „Nicolas Harnoncourt war einer der Pioniere dieser Richtung - er hat sich direkt mit den alten Texten auseinandergesetzt und nicht mit viel jüngeren Editionen, wo der Editor meinte, in den musikalischen Ausdruck eingreifen zu müssen.“ Auch die originalen Instrumente spielen eine Rolle, und im Resultat klingen die Stücke oft erstaunlich anders, als wir gewohnt waren sie zu hören. „Doch in der Vokalmusik gibt es die noch schwierigere Aufgabe, einen inhaltlichen Bezug zum Text selbst aufzubauen. Die Psalmen Davids zum Beispiel sind im Zustand der größten Verzweiflung, der Verlassenheit und des Verrats entstanden, und im Blick darauf stellen sich die Texte sofort ganz anders dar.“ Die Psalmenvertonung des 16. Jhds. blieb dem Kontext dieser alten Texte nah, aber die geläufige Praxis, in der man heute mit ihnen musikalisch umgeht, ist davon weit entfernt. „Diese Distanz lässt sich nicht allein mit einer Kenntnis der historischen Aufführungspraxis überwinden, sondern fordert auch eine Kombination aus geschichtlichem Wissen, Empathie und Mut.“

Wenn alte Vokalmusik auf eine CD eingespielt wird, dann öffnen die technischen Möglichkeiten ein weites ästhetisches Spektrum. „Das Ensemble Graindelavoix zum Beispiel hat Machauts ‚Messe de Nostre Dame‘ so aufgenommen, dass es zuweilen nach Drone Metal klingt - man hat eine unglaubliche Klangwand vor sich, die nicht durch künstliche Effekte, sondern lediglich durch Mikrofonie und Abmischung zustande kommt.“ Graindelavoix polarisieren in ihrem Umgang mit Kompositionen des 14. Jhds., aber sie stellen darin die wichtige Frage, inwieweit technische Mittel dazu beitragen können, den Kern einer Komposition herauszubringen. Eine ähnliche Frage motiviert ein Projekt, das Ekkehard Windrich, inspiriert von Michel Foucaults später Vorlesung „Die Geständnisse des Fleisches“, gerade entwickelt: in einer Engführung mit Techno-Musik sollen dreistimmige Motetten Guillaume de Machauts in einem Club aufgeführt werden. „In bezug auf den Ort und seine Akustik habe ich mich entschlossen, ein avanciertes Arsenal von teils sehr künstlichen Effekten einzusetzen, die sich dann aber harmonisch an den Verlauf des Stückes anpassen. Wenn wir einen so großartigen Teil unserer Musikgeschichte ohnehin transformieren müssen, um ihn heute sinnvoll aufführen zu können, dann kann man die Transformation auch einmal radikal versuchen, solange im Zentrum das Bemühen steht, die Alte Musik zu verstehen und nicht einfach als Steinbruch zu verwenden, um Klänge zu erzeugen, die gerade en vogue sind.“

Ekkehard Windrich bei den Endproben zur Produktion "Highs & Lows" mit dem KlangClub (Foto: privat)

In einem anderen neuen Format des Klangforums, dem Musikvermittlungsprojekt KlangClub, hat die SCHOLA HEIDELBERG im November letzten Jahres mit der digital stage ov-box geprobt. Die Mitglieder des Ensembles waren während der Vorproben in München, Freiburg, Mannheim und Köln, und hätten in dieser Zeit nicht vor Ort zusammen spielen können. „Wir haben keine Headsets mit integriertem Mikrofon verwendet, sondern Schwanenhalsmikros mit Tischstativ und unsere gewohnten Kopfhörer. Das hat sich gut bewährt, wir hatten eine Klangqualität, die auch für gehobene Probenansprüche vollkommen ausreicht.“ Limitierende Faktoren waren die Internetverbindungen einiger Mitglieder und die größere Latenz des Videosignals gegenüber dem Audiosignal der ov-box. „Als wir ein Stück in Tempo 108 geprobt haben, war ich einen Schlag vor dem Ensemble - das ist beim symphonischen Dirigieren eigentlich normal, aber im digitalen Raum muss man sich daran erst gewöhnen. Die Digitalisierung muss man eben erlernen, und man muss dabei viele Routinen, auch sehr gut erprobte und sinnvolle, hinter sich lassen und neue entwickeln, wenn man vom digitalen Element wirklich etwas haben will.“ Das KlangForum hat für das Vermittlungsprojekt ein Nachwuchsensemble gegründet mit Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren, den KlangClub, der sich über neun Monate jede Woche getroffen und in einem theaterbezogenen Ansatz mit Unterstützung Stücke entwickelt und geprobt hat. Auf eine Woche Gesamtproben, in der auch die Interaktion zwischen den Ensembles des KlangForums und den Jugendlichen geprobt wurde, folgte ein Wandelkonzert mit sechs ausverkauften Vorstellungen. 

Im Ausblick auf die Zukunft hofft Ekkehard Windrich, dass die Förderung, die dem KlangForum einen Raum für musikalische Experimente möglich macht, erhalten bleibt. „Ich bin der Gesellschaft zutiefst dankbar, dass sie uns diesen Schutzraum eröffnet hat, in dem wir dem Publikum neue Wege des Zugangs zur alten und zur zeitgenössischen Musik bieten können. In dem gesellschaftlichen Umbruch, durch den wir seit längerem gehen, ist es für uns im KlangForum eine zentrale Aufgabe, immer wieder neu auszuloten, wie 1500 Jahre europäischer Musikgeschichte mit der Gegenwart vermittelt werden können. Ich freue mich, wenn wir neue Kompositionen einstudieren, die uns überraschen, alte Stücke so spielen, wie wir sie noch nie gehört haben, und für beides ein interessiertes Publikum haben.“ Gern begleiten wir im Digitale Bühne Team das Klangforum auch bei weiteren Projekten. 

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