Ekkehard Windrich im Gespräch - Teil 1

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test: Das KlangForum Heidelberg

Die Digitale Bühne im Test

Ekkehard Windrich / Foto: Thilo Ross

Das KlangForum Heidelberg

Ekkehard Windrich im Gespräch - Teil 1

Ekkehard Windrich studierte Violine (an der HfM Hanns Eisler in Berlin und der HfM Carl Maria von Weber in Dresden) und elektroakustische Musik (am Institut für Sonologie in Den Haag), war Konzertmeister des Österreichischen Ensembles für neue Musik Salzburg und des ensembles aisthesis, und ist seit 2021 ausschließlich als Dirigent tätig. Gemeinsam mit Walter Nußbaum und J. Marc Reichow nimmt er die künstlerische Leitung des KlangForums Heidelberg wahr. Das KlangForum erarbeitet eigene Konzertformate mit seinen beiden Formationen, dem Vokalensemble SCHOLA HEIDELBERG und dem Instrumentalensemble aisthesis. Dabei liegt der Schwerpunkt zwar auf der klassischen Moderne und insbesondere der zeitgenössischen Musik, das musikalische Jetzt wird dabei aber immer in einen weiten historischen Kontext eingebettet. „Es liegt eine Schwierigkeit in der Überwindung von zeitlichen Distanzen, wenn wir von alter Musik sprechen, und von Hörgewohnheiten, wenn es um zeitgenössische Musik geht. Die historische Distanz ist viel schwieriger zu überbrücken. Wir haben das missverständliche Gefühl, dass wir Musik ab dem Barock schon irgendwie verstehen, erst bei noch älterer Musik spüren wir, wie weit die Denkweise der Komponisten von unserer heutigen entfernt ist.“

Die Ensembles des Klangforums Heidelberg spielen in wechselnder Besetzungsgröße in Konzertsälen, in Kirchen und in umdefinierten Räumen. „Unser Probenlokal, in dem wir auch sehr oft auftreten, ist das ehemalige Betriebswerk des Güterbahnhofs Heidelberg. Es ist einer dieser umgewidmeten Räume, in dem wir wunderbare Probenvoraussetzungen haben, und der zugleich auch eine Art Kammermusiksaal mit durchaus passabler Akustik ist.“ In Kirchen treten die Musiker:innen des Klangforums auch mit zeitgenössischem Repertoire auf, und selbst reine Lautsprecherstücke sind in Kirchen mit viel Nachhall gut zu spielen. Man kann mit der Latenz in den verschiedenen Aufführungsräumen produktiv arbeiten, und man kann in experimentellen Set-ups auch die Akzente im Verhältnis von Sehen und Hören verschieben.

Als die ORLANDOviols, ein Viola da Gamba Quintett, im Kirchenraum eine Komposition von John Cage aufführten, bauten sie einen Lautsprecherring auf - das Publikum saß innerhalb, die Musiker:innen außerhalb, und da die Entfernungen für sie zu weit geworden waren, um sich visuell zu koordinieren, stimmten sie sich auditiv über ein In-ear-monitoring System ab. Die ov-box, die aus diesem System entstand, bringt wie auch die anderen Versionen der Digitalen Bühne eine Konzentration auf das Hören mit sich, in der wir uns selbst und die anderen, die mit uns in demselben Audioraum sind, näher und deutlicher hören können. Dieses Merkmal kann die Probenarbeit unterstützen, in seinen ästhetischen Konsequenzen aber auch in neuen Kompositionen entfaltet werden.

Ekkehard Windrich / Foto: Thilo Ross

„Ich habe viel amerikanische Experimentalisten gespielt, bei denen das Zusammenspiel kaum über das Visuelle stattfindet, sondern viel mehr darüber, dass man auf die akustischen Aktionen der anderen hört. Es gibt aber auch das Beispiel des Streichquartetts von Georg Friedrich Haas, das in kompletter Dunkelheit zu spielen ist. Wir wenden 80 % unserer kognitiven Fähigkeiten für das Visuelle auf, und wenn diese kognitive Last wegfällt, fangen wir an, intensiver zu hören.“ Besonders bei rhythmisch anspruchsvoller Musik koordiniert sich das Zusammenspiel oft stark über das Sehen. Wenn man also in eine andere ästhetische Richtung gehen will, dann braucht man dafür Komponist:innen, die sich dem Thema widmen.

In der Pandemie hatte die Suche nach neuen digitalen Musikkonzepten einen Schub bekommen. Am Anfang der Coronazeit hat Ekkehard Windrich ein Internetstück komponiert, „Splendid Isolation?“, für das er vier Instrumentalist:innen des Klangforums Heidelberg bat, in Handyvideos über ihre Erfahrung des Lockdown und der fehlenden Präsenz zu sprechen. Auf dieser Basis komponierte er vier kurze Solostücke für Sänger:innen des Klangforums, die über das Internet geprobt und aufgenommen wurden, und arrangierte anschließend das digitale Material. Die Digitale Bühne hätte damals geholfen, den Produktionsprozess interaktiver zu gestalten, aber gerade die Limitierungen sind oft ein Anstoß zur weiteren Bewegung. „Die gegenwärtige Limitierung, dass das Videosignal ein bisschen später ankommt als das Audiosignal, wenn man über die digital-stage-ov-box probt, kann natürlich auch dazu führen, dass wir uns ganz neue Dinge einfallen lassen.“

2021 und 2022 hatte das Klangforum Heidelberg ein Digitalprojekt, Josquins Europa, in der Heidelberger Peterskirche und im Betriebswerk umgesetzt. Das Projekt besteht aus 360°-Aufnahmen (Audio und Video) eines Klagelieds von Josquin des Préz aus dem 15. Jahrhundert und einer Auftragskomposition von Sebastian Claren. Das mit VR-Brillen ausgestattete Publikum kann sich dabei in den Kreis der Sänger:innen virtuell hineinbegeben - ein in der Realität unzugänglicher Punkt, der aber zugleich der ideale ist, um das kontrapunktische Stimmengeflecht der Musik in seiner architektonischen Dimension zu erfassen. In dem Test, in dem das KlangForum die Digitale Bühne in ihrem Potenzial kennengelernt hat, standen aber nicht neue Wege der Komposition im Mittelpunkt, sondern die Möglichkeit, von verteilten Orten aus gemeinsam zu proben. Effizienz und Nachhaltigkeit sind dabei wichtige Begriffe. „Es ist unser ökonomisches und ökologisches Interesse, unseren Reiseaufwand zu verringern. Nach unserem Test habe ich die Hoffnung, dass wir auf einige Reisen verzichten können, weil wir auf der Digitalen Bühne sinnvoll in kleineren Gruppen vorproben können.“ In einem neuen Projekt, das alte Chansons von Guillaume de Machaut mit klassisch-zeitgenössischen Chansons von Barbara verbindet, möchte das Klangforum die Digitale Bühne in den Proben einsetzen. „Das Material muss neu arrangiert werden, da muss man viel ausprobieren. Diese Phase, die in einer Besetzung von drei bis fünf Ensemble-Mitgliedern stattfinden wird, wollen wir digital gestalten, und nur die Endproben finden wieder für alle zusammen in Heidelberg statt. Da der Prozess andernfalls viele Vorprobentermine erfordern würde, sehe ich hier ein sehr schönes Einsparungspotenzial.“

Teil 2 des Gesprächs erscheint im Newsletter April 2023.

Das KlangForum Heidelberg wird gefördert im Impulsprogramm „Kultur nach Corona“ des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Die MFG Baden-Württemberg begleitet ZUKUNFTSSTARK und bietet allen Einrichtungen mit Investitionsvorhaben im Bereich Digitalisierung eine individuelle Beratung, um ihre Förderprojekte nachhaltig auszurichten. In diesem Rahmen erprobt Digital Stage mit dem KlangForum Heidelberg für mögliche Lösungen im Feld digitaler Musikproduktion.

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