Marco Schröder im Gespräch

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test: Das Hamburger Konservatorium

Die Digitale Bühne im Test

E-Learning Unterricht am Hamburger Konservatorium / Foto: Robert Biesewig

Das Hamburger Konservatorium (KON)

Marco Schröder im Gespräch

Marco Schröder ist Posaunist und Dozent an der Akademie und Musikschule des Hamburger Konservatoriums. Er spielt in verschiedenen Orchestern und hat das Elbphilharmonie Publikumsorchester in seinen digitalen Proben durch die Pandemie begleitet.

Die Digitale Bühne ist ein Medium, das es möglich macht, von verschiedenen Orten aus gemeinsam online zu musizieren, und in der Erfahrung eines gemeinsamen akustischen Raums eröffnet sie eine neue Dimension des Hörens. Michael Petermann sprach von einer Intimität des Musizierens, in der wir uns selbst und die anderen, die mit uns im Ensemble, Chor oder Orchester sind, genauer und näher hören. „Wir kennen diese Intimität auch als die Erfahrung des Knochenschalls.“ Die Klangprofile werden deutlicher, das Visuelle tritt zurück, und man hört auf einmal auch Dinge, die man sonst nicht wahrnimmt. Es ist eine Konzentration auf das Hören, die in der Entstehungsgeschichte der digital-stage-ov-box schon angelegt ist: in einem experimentellen Konzertaufbau des Gambenquintetts ORLANDOviols saß das Publikum innerhalb eines Lautsprecherrings, und die Musiker:innen waren außerhalb, zu weit voneinander entfernt, um sich visuell zu verständigen. Ein In-ear-monitoring system, das sie für ihre spezifische Musik gebaut hatten und das Giso Grimm dann zur ov-box weiterentwickelte, erlaubte ihnen, sich im Auditiven abzustimmen, zum Beispiel im Einsatz nach dem Atmen. Marco Schröder kennt diese Erfahrung: „Das Einatmen ist das Geheimnis der klassischen Musik. Atmen ist unser Metrum, aber das wissen viele nicht. Wenn ich ein Orchester dirigiere oder Workshops gebe, dann verlange ich als Übung, dass alle einmal die Augen schließen und nach dem Atmen spielen. In der Ausschaltung des Visuellen kann man das Tempo dann intensiv empfinden.“

Das Sehen ist in der Musik wichtig, wenn man nach Noten spielt, und wenn man in einem größeren Ensemble einen Dirigenten oder eine Dirigentin hat. Solisten spielen oft ohne Noten, damit sie ihre Ressourcen nicht auch noch darauf verwenden müssen. Und auch wenn die Musik so kompliziert ist, dass es ohne Noten nicht geht, lesen sie nicht jede Note. Wenn wir auf einen Dirigenten sehen, gleichen wir seine Bewegungen mit dem ab, was wir von den Kolleg:innen hören, ob ein C bei allen dieselbe Tonhöhe hat, ob sie die Töne lang, kurz, laut, leise, weich oder hart spielen. „Im Solo muss ich genau auf bestimmten Tönen sein, die zum Beispiel von der Bassgruppe kommen, und dafür höre ich zusätzlich zu der Information, die ich vom Dirigenten bekomme, diese anderen Instrumente selektiv als Referenz heraus. Ich muss mich nach dem Hören orientieren, mich auf das Hören konzentrieren, und eben das wird durch die Arbeit mit der Digitalen Bühne gefördert. Dann nimmt man auch leises Atmen auf der Bühne wieder wahr, weil man dafür sensibilisiert ist.“

Marco Schröder / Foto: marcoschroeder-fotografie.de

In anderen Konzertsituationen ist die Orientierung nach dem Hören wegen Latenz und Nachhall ohne Hilfsmittel nicht mehr möglich. Giovanni Gabrieli hat in der Renaissance Musik für den Markusdom komponiert, wo Chöre auf verschiedenen Emporen links und rechts sangen, und der Klang in der Mitte der Kirche genau zusammenkommen musste. Die Musiker:innen brauchten die Orientierung durch einen Dirigenten, um einen zeitlichen Maßstab zu bauen, wie sie spielen mussten. Als Marco Schröder und sein Orchester 2021 in Hamburg bei einem Stadtfest aus den Fenstern der Speicher spielten, konnten sich die Musiker:innen nicht sehen und im analogen Raum nur mit extremer Zeitverzögerung hören. „Aber mit Kopfhörer und In-ears war das überhaupt kein Problem mehr. Man hat den Dirigenten gesehen und die anderen gehört, so wie sie am Mikrofon gespielt haben, zeitgleich.“

Im Einsatz der Digitalen Bühne für den Unterricht und die Probe liegen große Chancen, angefangen mit Faktoren der Nachhaltigkeit, wenn man lange Fahrt- oder Flugwege einspart, und der Inklusion, wenn auch Musiker:innen an der Probe teilnehmen können, die im Probenraum gerade nicht erscheinen können. Die Arbeit im digitalen Raum soll den Unterricht und die Probe face to face nicht ersetzen, kann sie aber ergänzen und hat darin ein eigenes Profil. „Ich lese in meinen Schülern und Schülerinnen wie in einem offenen Buch - ich merke, in welchem Zustand sie sind, aber das ist online schwieriger, und die Präsenz des Lehrers ist auch eine andere.“ Auf der anderen Seite kann man den Lernfortschritt mit digitalen Mitteln deutlich intensivieren. Ein Schüler nimmt zum Beispiel aus dem digitalen Unterricht die Aufgabe mit, sich eine Stelle unter verschiedenen Aspekten anzusehen und dazu ein Audio Recording zu schicken. Dazu bekommt er ein Feedback, und in der nächsten analogen Unterrichtsstunde geht er die Stelle mit Marco Schröder live durch.

Für die Probe bietet die Digitale Bühne eine Funktion, in der man einzelne Musiker:innen oder ganze Gruppen im akustischen Raum beliebig anordnen kann, so können zum Beispiel die Bässe nach hinten oder nach vorne, nach links oder nach rechts gestellt werden. Wenn ein Sänger im Chor schwächer ist in der Tonart, in der er singt, stellt er sich vielleicht gern neben jemanden, der solide singt, und diese Aufstellung kann die Digitale Bühne in ihrem Audioraum nachbilden. Auch in der Orchesterprobe kann man mit der Aufstellung digital experimentieren. „Ich bin erster Posaunist, das heißt, in der deutschen traditionellen Aufstellung kommen meine Kolleg:innen von links. Wenn wir aber in der Wiener Aufstellung spielen, kommen sie von rechts, dann entsteht eine andere Balance.“ Dass man die Räumlichkeit verstärken kann, eine größere Trennung zwischen den einzelnen einbaut oder sie zusammenschiebt, um das Gruppenbild zu betonen, sind hilfreiche Optionen für Chöre und Orchester.

„Musik hat über die Jahrhunderte eine Tradition, in der unsere Aufgabe das Hüten der Flamme ist und nicht das Verwahren der Asche. Und dafür müssen wir uns der digitalen Mittel annehmen und moderne Wege beschreiten.“

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