Prof. Dr. Hubert Wiggering im Gespräch

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test: Das MONAS Kollektiv.

Die Digitale Bühne im Test

Foto: Mirko Joerg Kellner

Das MONAS Kollektiv. Prof. Dr. Hubert Wiggering im Gespräch

Hubert Wiggering engagierte sich nach einem Studium der Geologie und Paläontologie Anfang der 1980er Jahre in dem neuen Arbeitsfeld der Umweltgeologie. „In dieser Zeit wuchs langsam das Bewusstsein, dass die Geologie sich mit Fragen der Nachhaltigkeit auseinandersetzen muss. Ich hatte an der Universität Essen das Projekt, Steinkohle Bergehalden durch Begrünung wieder in die Landschaft einzufügen, so dass nicht ständig Wunden klaffen und die Systeme wieder aufeinander zulaufen.“ Über die weitere Vertiefung in Umweltfragen wurde Hubert Wiggering Generalsekretär des Sachverständigenrats für Umweltfragen, den der damalige Umweltminister Klaus Töpfer einberufen hatte, und in der Folge bewegte er sich parallel in Wissenschaft und Politikberatung. Ein Gutachten des Umweltrates zur künftigen Landnutzung und Landwirtschaft zeichnete sinnbildlich den Weg von Hubert Wiggering zum wissenschaftlichen Direktor des Leibniz-Instituts für Agrar- und Landschaftsforschung in Müncheberg, wo er die Verzahnung verschiedener Fachdisziplinen vorantreiben konnte. „Die Herausforderung war dann auch, wie wir unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Gesellschaft bringen können. Wir hatten eine Terminologie gepflegt, die wenige verstehen, und ein Bewertungssystem geschaffen, das von den komplexen und überdisziplinären Ansätzen wieder wegführte - die Aufgabe war jetzt, das Wissen aus den begrenzten Fachgebieten heraus wieder in den Gesamtkontext zu stellen und so zu verknüpfen, dass andere es verstehen.“ 

Während Hubert Wiggering nach Transfer-Ansätzen suchte, erlebte er 2018 ein Konzert im Bernauer Wasserturm, wo der Lichtkünstler Kurt Laurenz Theinert den Raum gestaltete, in dem Kurt Holzkämper und Chris Geisler ihre Musik spielten. Nach dem Konzert sprach Hubert Wiggering mit den Künstlern, und in einer ersten Zusammenarbeit entstand dann das Format der Ackerkonzerte: „Die Musiker hatten GSR-Sensoren an Pflanzen, an Sträucher und Bäume angeklemmt und später auch an Roggen auf einem Roggenacker angebracht. Die Klangbilder, die daraus entstanden, dass die Pflanzen über ihre Leitsysteme Stoffe transportieren und Geräusche erzeugen, waren die Basis, auf der die Musiker improvisierten.“ In diesem Ansatz entstand das MONAS Kollektiv, an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft, und für Hubert Wiggering leuchtete in der gemeinsamen Arbeit die Möglichkeit auf, dass Menschen über die Kunst dazu kommen, sich komplexer Umweltfragen anzunehmen. „Nach und nach haben wir verstanden, dass wir die natürlichen Systeme als Instrumente sehen können. Um dies auszugestalten setzt sich MONAS aus Musikern, Lichtkünstlern, Wissenschaftlern wie auch IT-Spezialisten zusammen.“ 

In der Klimaforschung sind Moore eine besondere Größe, und entsprechend hat MONAS ab 2019 in dem Projekt Ursprung & Lauf mit dem Moor als Klangkörper gearbeitet. „Es war unser IT-Spezialist, der die Sensoren für uns passend umgebaut hat. Als wir gemeinsam im Moor unterwegs waren, haben wir Mikrofone vergraben, um den Resonanzkörper im Untergrund zu hören, sowie Sensoren zur Messung von Treibhausgasen ausgelegt, um mit diesen Daten die Klangbilder zu steuern, immer wieder anders zum Klingen zu bringen. Mir wurde dabei klar, wie unterschiedlich man die Moorproblematik angehen kann.“ In der wissenschaftlichen Sicht im Klimakontext kann man zum Beispiel fragen, ob im Klang des Moors als Resonanzkörper wiederkehrende Muster erkennbar sind. Im künstlerischen Zugang ist das Moor faszinierend als ein Biotop zwischen dem Flüssigen und dem Festen, als ein Akteur, mit dem die Kunst einen Dialog aufnimmt. Die Klangkünstler:innen gehen schon länger in den Stadtraum, nehmen Field Recordings auf, mit denen sie rezipieren, was da ist, und geben eine Antwort darauf, wenn sie aus den akustischen Daten Soundscapes machen. In der Arbeit des MONAS Kollektivs „sprechen“ die Klangkörper der Natur, und die musikalische Improvisation gibt darauf eine Antwort. In der Verschiedenheit der wissenschaftlichen und künstlerischen Zugangswege können die Sichtweisen produktiv zusammenkommen und alle voneinander lernen.

Hubert Wiggering erläutert das Moor. / Foto: Mirko Joerg Kellner

Die Orte, an denen das MONAS Kollektiv seine Arbeit präsentiert, sind einerseits Orte der Wissenschaft: Tagungen, Konferenzen, Umweltveranstaltungen. „Andererseits sind es sehr spezifische Orte der Kunst wie zum Beispiel das ‚Urholz‘ in Eppingen, in der MONAS live den Moor-Reaktor präsentiert hat - eine alte Schreinerei, in der mit natürlichem Material gearbeitet wird.“ Ein Film, der die Arbeitsweise des Kollektivs zeigt, und weitere Dokumentationen sind über das Internet verfügbar. „Die Digitalisierung kann eine Möglichkeit sein, wieder stärker in komplexen, umfassenden Zusammenhängen zu denken, wenn sie sich nicht selbst in den Vordergrund stellt und die Aufmerksamkeit zerstreut.“ Im Lauf der gLOKALE 2023, „Into the Future“, hatte das MONAS Kollektiv seine Arbeit auf der Digitalen Bühne einem internationalen Publikum präsentiert. Im Rahmen der gLOKALE 2024, „Über Orte“, zeigt MONAS am 26. September 2024 im Theater am Rand im Oderbruch, einem anderen unverwechselbaren Ort der Kunst, in Zusammenarbeit mit teatreBLAU und der Digitalen Bühne gGmbH seine neue Produktion Landschaft und Kunst im Austausch. Eine Chronik der Langsamkeit. 

In der Inszenierung werden Elemente der ländlichen Umgebung - Pflanzen, Tiere, Grünland, Moor, Böden - in ihren akustischen Lebensäußerungen über Mikrofone und Natur-Sensoren in den Theaterraum eingespielt und begegnen sich und uns als aktive Klangkörper, als ein lebendiges Gegenüber. Durch Klangverfremdungen und Steuerdaten entstehen „Zustände“, auf die das MONAS Kollektiv mit musikalischen Improvisationen und gelesener Prosa und Poesie zur Wechselbeziehung zwischen Menschen und Orten antwortet. Umweltdaten aus der Landschaft werden zusammen mit den Orten, an denen sie entstehen, künstlerisch projiziert, und in Ergänzung zeigt eine Kamera aus dem „Moorreaktor“, einem Glaskörper mit Mini-Moor, auf der Bühne Organismen in starker Vergrößerung - ein Dialog zwischen Landschaft und Kunst, der die natürliche Umgebung als einen Akteur in seiner Langsamkeit erfahrbar macht. Über vorab gedrehte Trailer lernt das Publikum vor Ort und das internationale Publikum, das über die Digitale Bühne zugeschaltet wird, das Theater am Rand und seine Umgebung als einen besonderen Ort kennen. Das Theater in einem interessanten Gebäude ganz aus Holz fügt sich in die umgebende Landschaft ein, und es ist kein offizieller Aufführungsort. „Das passt zu uns, es ist eine Identifikation von beiden Seiten gegeben.“ Und die selbe Langsamkeit, die in den Zyklen des Moors erfahrbar wird, möchte MONAS gern auch dem Publikum einräumen: „Wenn die Menschen Umweltfragen mit ihrer lebensweltlichen Erfahrung verbinden können, dann öffnet sich ein Tor des Interesses für wissenschaftliche Erkenntnisse, technologische Möglichkeiten und kluge Möglichkeiten der politischen Organisation. Aber eben diese Wirkung braucht manchmal ihre Zeit.“

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