Roua Horanieh im Gespräch - Teil 1

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test: Das Glokale Festival

Die Digitale Bühne im Test

Roua Horanieh und Birge Schade lesen in Lübbenau / Foto: Santiago Stankovic

Das GLOKALE Festival

Roua Horanieh im Gespräch - Teil 1

Roua Horanieh ist Architektin und Autorin - sie wurde in Syrien geboren, studierte Architektur im Libanon und gründete 2010 gemeinsam mit dem deutschen Landschaftsarchitekten Jan Bunge und dem syrischen Archäologen und Architekten Hani Munif ihr eigenes Architekturbüro in Damaskus. Jan und Roua heirateten, und als der Krieg in Syrien ausbrach, gingen sie nach London, wo sie 2014 eine Tochter bekamen. „Ich habe dann wieder in der Architektur gearbeitet, aber meine Gedanken über Syrien waren sehr kompliziert - ursprünglich hatte ich beschlossen, das Thema einfach zu vergessen, weil es zu brutal und schmerzhaft war, vor allem, wenn man ein kleines Kind hat. Und so habe ich mich aktiv abgeschottet und mich mit nichts mehr beschäftigt, was aus Syrien kam. Aber auf Dauer kann man das nicht durchhalten.“ Als Katja Lebelt vom teatreBLAU mit ihr über Damaskus - die Kultur, die Menschen, das Essen und den Alltag - sprechen wollte, hatte Roua zuerst die Tendenz, den Vorschlag abzulehnen, ließ sich dann aber doch darauf ein und schrieb einen Text über ihre Erinnerungen. Die Damaskus-Tagebücher wurden veröffentlicht und übersetzt, und in einer Veranstaltungsreihe, die Katja Lebelt organisiert hatte, wurde der Text 2021 in der Gedächtniskirche Berlin und an vielen Orten in Brandenburg rezitiert, auf Englisch von Roua und auf Deutsch von der Schauspielerin Birge Schade. „Die Lesungen wurden teilweise vom Kammerensemble der Berliner Symphoniker begleitet, und immer gab es im Anschluss ein Gespräch mit dem Publikum.“

Roua Horanieh / Foto: Jan Bunge

Nach den ersten Gesprächen nahm Roua an einem multinationalen Workshop auf Mallorca teil, zu dem Katja Lebelt Künstler:innen aus verschiedenen Ländern und Bereichen - Musiker:innen, Tänzer:innen, Theaterleute, Autor:innen, Maler:innen - zusammengebracht hatte, um über weitere Projekte rund um Damaskus zu sprechen. „Am ersten Tag sprachen alle, die nicht aus Syrien kamen, darüber, wie schön Damaskus ist, und sie zeigten uns orientalistisch-nostalgisches Material. Am zweiten Tag wurden wir Syrer sehr wütend, wir sprachen über alles, was an Syrien und Damaskus falsch lief, und nicht nur über den Krieg. Und am dritten Tag fanden wir, dass wir vielleicht ein bisschen zu harsch gewesen sind. Denn es gibt auch viel Schönes und Vieles, das wir an Syrien und Damaskus lieben. So ging es am dritten Tag um Liebe und Poesie.“ Diese Ambivalenz lieferte die Struktur für Rouas Stück Home - Pizza/Visa & a pledge to the Queen, in dem eine syrische Mutter, die in London lebt, mit zwei Stimmen kämpft, einer wütenden und einer liebenden. Sie wird von beiden hin- und hergerissen und weiß nicht, wo sie sich einordnen soll. „Und so war das Schreiben für mich ein Weg, meine Identität oder meinen Orientierungssinn zurückzugewinnen und darüber zu sprechen und die Tür, die ich zugemacht hatte, so zu öffnen, dass ich in der Lage war, die Wut und den Schmerz zu kontrollieren und mich mit anderen, die sich für das Thema interessieren, auseinanderzusetzen.“

Auch wenn sie Damaskus als einen Ort in der Ferne mit sich trägt, betrachtet Roua London als ihr Zuhause: es ist ein Ort, an dem sie zehn sehr intensive Jahre mit ihrem Mann und ihrer Tochter verbracht hat, mit allen Vorteilen der zivilen Infrastruktur. „London bot mir die Möglichkeit, Wurzeln zu schlagen. Hier ist der Boden, im Bild gesprochen, reich und dicht, so dass ich Halt finden kann. Man kann an Großbritannien vieles kritisieren, aber es gibt hier eine Zivilgesellschaft, in die ich mich einbringen kann.“ Als Roua 11 Jahre, nachdem sie Damaskus verlassen hatte, die Stadt zum ersten Mal wieder besucht hat, fühlte sie sich sicher, denn sie war in einer Umgebung, die sie gut kennt. „Der Ort, aus dem man kommt, bietet so viele Erfahrungswerte, dass man instinktiv entspannter ist als anderswo. Identität hat viel mit Erfahrungswerten zu tun.“ Roua hat das Stück Home vor der COVID-Pandemie geschrieben, und jetzt wird es in der Regie von Hans Ulrich Becker produziert, die Premiere findet am 25. November im Kleist Forum Frankfurt/Oder statt. Zur Zeit arbeiten 15 Personen an der Inszenierung, die aus verschiedenen Orten und Ländern kommen und ganz unterschiedliche Lebenserfahrungen mitbringen - es sind Teilnehmer:innen aus Chile, Spanien, Argentinien, und selbst die Syrer kommen aus ganz verschiedenen Regionen und Communities. „Das Theater kann ein toxischer Ort sein, aber es kann auch ein Ort sein, an dem die Menschen offen sind für Experimente. Ich denke, es ist eine Aufforderung zu lernen, wie man zusammenarbeitet, es ist ein gutes Format, um Menschen dazu zu bringen, etwas auf die richtige Art zu tun, und das ist ein Prozess, der Freude macht.“

Das Stück wird auch an anderen Orten aufgeführt und im Rahmen der GLOKALE, einem von teatreBLAU organisierten hybriden Festival, das vom 4. bis 13. Dezember 2023 an vier physischen Orten und im digitalen Raum stattfindet, online gestreamt. „Die GLOKALE wird drei Live-Veranstaltungen präsentieren, an die sich Live-Online-Gruppendiskussionen mit Teilnehmer:innen aus verschiedenen Arbeitsbereichen und verschiedenen Ländern anschließen. Das alles wird über die Digitale Bühne für ein breites internationales Publikum gestreamt.“ Drei weitere, vorab aufgezeichnete Events werden ebenfalls live online gestreamt und diskutiert. Die erste Veranstaltung dieser Reihe ist eine Präsentation von Kurt Holzkämper, einem Musiker, der zusammen mit einem Wissenschaftler Klänge aus Mooren und Sümpfen aufgenommen hat. „Sie sprechen über unsere sehr selektive Wahrnehmung, in der wir viele Geräusche um uns herum gar nicht bemerken.“ Das zweite Event ist eine Lesung von Matthieu Carrière, dem bekannten Film- und Fernsehschauspieler, auf die ein Vortrag seiner Tochter über das Monströse und die Monster in der Kunst antwortet. Beides wird im Kleist Forum Frankfurt/Oder aufgezeichnet. Und die dritte Aufzeichnung zeigt die Premiere von Rouas Stück Home im Kleist Forum, wieder mit anschließender Online-Diskussion. Die drei Live-Events sind dagegen Lesungen mit Schauspieler:innen in Luckenwalde/Brandenburg, in London und auf Mallorca. Das Publikum wird Texte hören, die aus Rouas Interviews mit 17 Gesprächspartner:innen - zwei aus Großbritannien und 15 aus anderen Ländern - hervorgegangen sind. Roua sprach mit ihnen über das Thema der diesjährigen GLOKALE: Der Blick in die Zukunft„und die Bewältigung unserer aktuellen Krise der Einbildungskraft, in der viele die Fähigkeit verloren haben, sich unabhängig von Fragen der Effizienz und Produktivität ein Szenario für die Zukunft vorzustellen.“

Teil 2 des Gesprächs erscheint im Newsletter November 2023.

Zurück zur Newsübersicht

Mitmachen und ausprobieren