Sardegna Teatro in Cagliari / Italien. Massimo Mancini im Gespräch

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test:

Die Digitale Bühne im Test

Massimo Mancini (Foto: Laura Farneti)

Sardegna Teatro in Cagliari / Italien. Massimo Mancini im Gespräch

 

Massimo Mancini ist Theaterdirektor, Kulturunternehmer und Kurator mit einem Hintergrund in Elektrotechnik und Philosophie. „Als ich an der Università Politecnica delle Marche studiert habe, war diese Kombination noch Neuland - heute ist es in der Umweltökonomie geläufiger geworden, dass Natur- und Geisteswissenschaften ineinander greifen.“ 1992 hat Massimo angefangen, für INTEATRO zu arbeiten, ein renommiertes Festival für Darstellende Künste in Polverigi (einem kleinen Ort an der Adriaküste), und über IETM, das internationale Netzwerk für Darstellende Künste, das in Polverigi gegründet wurde, kam er 1997 in die Kampnagel-Fabrik nach Hamburg zu einem Austausch über Erfahrungen im Kulturmanagement. Zurück in Italien, übernahm Massimo die Leitung des CRT, Centro di Ricerca per il Teatro in Mailand, des größten experimentellen Theaters in Italien, das unter anderem alle späten Stücke von Tadeusz Kantor produzierte. 

„Ich habe dann weiter das Interesse gehabt auszuloten, wie die Kultur eine aktive Rolle in der Transformation der Gesellschaft spielen kann, und habe mit einer Freundin das Unternehmen Indisciplinarte srl gegründet - in Terni, einer Stadt in Umbrien, die durch einen massiven Wandel ging, da 90 Prozent der Arbeiter:innen in den örtlichen Fabriken ihre Jobs verloren hatten. Wir haben dann das Kulturzentrum CAOS, Centro Arti Opificio Siri, in einer ehemaligen Chemiefabrik aufgebaut und das Terni Festival Internazionale della Creazione Contemporanea gegründet.“ CAOS umfasst zwei Museen, einen Ausstellungs- und Veranstaltungssaal, eine Bibliothek, ein Hacklab, ein Theater, ein Studio für Workshops und Residencies, einen Kino- und Konferenzsaal und ein Café-Restaurant - das Zentrum ist ein Knotenpunkt der Vernetzung mit internationalen Institutionen und Festivals. Sein neues Raumkonzept an der Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft wurde von der Europäischen Union als Best-Practice-Beispiel gewürdigt und diente als Referenz für das Creative Europe-Programm. „2014 wurde ich als künstlerischer Leiter für die Bewerbung der Stadt Cagliari als Kulturhauptstadt Europas berufen und zog nach Sardinien. Seit 2015 leite ich in Cagliari das Sardegna Teatro, eins von 20 ‚Theatern von besonderem kulturellem Interesse‘ in unserem nationalen italienischen Raum.“

Massimo Mancini bei der Präsentation (Foto: Laura Farneti)

Die Aktivitäten des Sardegna Teatro verteilen sich auf drei Bereiche. „In unserer zentralen Arbeit produzieren wir Aufführungen, wir haben zur Zeit 20 bis 25 Inszenierungen im Programm, neue Stücke und auch Repertoire. Wir haben unseren Schwerpunkt in internationalen Tourneen - das italienische Theater bleibt mit der Commedia dell'Arte verbunden, es ist nicht stationär mit festem Personal und festem Ensemble wie in anderen Ländern.“ Mit seiner Produktion Macbettu, einer Übertragung des klassischen Macbeth in die sardische Sprache in der Regie von Alessandro Serra, hat das Sardegna Teatro viele Preise in Italien wie im Ausland gewonnen, gerade ist das Ensemble zurück von einer Tournee in Hongkong, Macao und Südkorea. „Wir produzieren auch viel neue Dramaturgie, weil wir an das Wagnis glauben und Künstler:innen unterstützen, die mit neuen künstlerischen Sprachen experimentieren wollen.“

Im Kontext der Frage, was Kultur zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und zur Unterstützung von Gemeinschaften in ihrem Wandlungsprozess beitragen kann, hat Sardegna Teatro ein Projekt für Obdachlose realisiert und betreibt eine Schule für kleine Kinder von 0 bis 3 und von 3 bis 6 Jahren. Die zweisprachige Schule arbeitet mit der von Loris Malaguzzi entwickelten Reggio-Emilia-Methode, in die sie Praktiken der Darstellenden Künste einführt. „Für uns ist es eine zentrale Frage, wie wir Gemeinschaften einbeziehen können und was Gemeinschaften zusammenhält. Sie sind fließend, beweglich geworden, sie verändern sich, und wenn die Darstellenden Künste helfen, eine Gemeinschaft zu schaffen, wie kann sie dann lebendig bleiben? Das ist eine Frage, über die wir jeden Tag nachdenken, während wir selbst jeden Tag versuchen, anders zu sein, als wir es gestern waren.“

Ein dritter Aufgabenbereich ist der Arbeit mit Räumen gewidmet - Sardegna Teatro baut zur Zeit eine neue Plattform auf für die Reflexion darüber, was öffentlicher Raum ist und wie Künstler:innen im öffentlichen Raum arbeiten können. „Wir fordern Künstler:innen auf, Projekte zu diesen Fragen zu entwickeln. Meine Idee ist, dass wir aus dem Theater herausgehen, im öffentlichen Raum experimentieren, das was wir dabei lernen, zurückzubringen ins Theater und einen durchlässigen Theaterraum schaffen, der nicht mehr ein Innen ist, das sich gegen das Außen abgrenzt.“ Eine neue Tendenz in der Architektur, das sogenannte „Place-making“, geht in dieselbe Richtung, hin zu offenen Orten, aber das ist noch ein weiter Weg ... und inzwischen kann auch die Technologie beitragen zu einer größeren Transparenz.

In der COVID-Pandemie brachten einige Experimente mit digitalen Werkzeugen die Schauspieler:innen und ihre Umgebung ganz nah an das Publikum heran und erzeugten eine neue Art von Intimität. „Ist das Theater, oder ist es Kino? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es eine neue künstlerische Sprache. Generell verändert die Technologie unsere Wahrnehmung, unsere Art, die Welt zu erfahren. Mit Video und Mobiltelefonen ist alles unmittelbar vor uns, nah - unser Gebrauch der Sinne ändert sich, und wir sind im Theater daran interessiert, diese Veränderung zu erforschen.“ Die entsprechende Wahrnehmungsforschung kann im analogen Theater geleistet werden, aber Sardegna Teatro unterstützt auch Künstler, die mit Virtual Reality arbeiten, wo sich die Wahrnehmung der Betrachter:innen sehr deutlich verändert. „Ich denke, aus der Welt des Gaming gibt es eine Dramaturgie, die wir hier zum Experimentieren nutzen können. Ich arbeite daran, in unserer Stadt einen Raum zu schaffen, in dem man technologische Werkzeuge zur Verfügung hat, Ingenieure, die einem helfen, sie zu nutzen, und Künstler, die experimentieren können. Es ist eine Zeit der Forschung.“

Gemeinsam mit der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität Cagliari hat Sardegna Teatro Förderung für ein Projekt im Horizon Europe-Programm bekommen, und mit der Finanzierung will Massimo ein Zentrum schaffen, in dem Künstler:innen dafür bezahlt werden, dass sie forschen. „Ich bin sicher, dass es eine neue künstlerische Sprache geben wird, und wir haben die Verantwortung, einen Ort zu schaffen, an dem Künstler:innen lernen können, was sie brauchen - nicht jetzt, sondern in zwei, drei, vier Jahren. Wie kann das gehen? Wir müssen vernetzt sein. Wenn irgendwo ein neues Werkzeug auftaucht, sollten wir es den Künstler:innen in die Hand geben und sehen, was dabei herauskommt.“

Hybride Aufführungen sind Teil des Experiments, und hier wird Sardegna Teatro erstmals mit der Digitalen Bühne arbeiten. Am 27. September werden Massimo und sein Team im Rahmen der gLOKALE 2024 eine Installation beitragen, die mit Szenen und zusätzlichem Material aus einem gerade abgedrehten Film über die Entführung von Giuseppe Vinci arbeitet, dem Sohn des Unternehmers, der den ersten Discountmarkt gegründet hat. „Seit den 1950er Jahren war die Entführung reicher Personen und die Umverteilung des Geldes in viele Hände auf Sardinien ein bekanntes Narrativ, aber als Giuseppe Vinci 1994 entführt und 310 Tage lang festgehalten wurde, forderten die Menschen in groß angelegten Protesten, angeführt von seiner Frau, ein Ende des Kidnappings. Das war ein Wendepunkt.“ Sardegna Teatro wird eine Videoinstallation mit Sensoren, Tonspuren und Hologrammen präsentieren, die verschiedene filmische Narrative anbietet, das Publikum kann sie auswählen und weiter verfolgen. Die Veranstaltung wird auf der Digitalen Bühne live gestreamt, so dass das lokale Publikum vor Ort mit einem globalen Publikum online verbunden werden kann. „Wir haben dieses Datum gewählt, weil es die ‚European Research Night‘ ist - eine Nacht, in der wir experimentieren können. Ich denke, das Publikum, lokal und global, wird verstehen, dass es teilnimmt an einem Prozess - wir sind neugierig und werden aus Fehlern lernen.“ Und am Ende ist die geteilte Festivalerfahrung auch Teil einer Vernetzungsarbeit. „Von der Technologie können wir lernen, dass wir in dem Bemühen, voneinander zu lernen, Knotenpunkte eines Netzwerks sind, in dem es kein Zentrum und keine Peripherie mehr gibt - wir sind alle Inseln, und manchmal nicht so einfach zu erreichen.“

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