Teatro del Sótano in Barcelona/Spanien. Annie O’Callaghan im Gespräch

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test:

Die Digitale Bühne im Test

Annie O´Callaghan (Foto: Caitlin Bellah)

Teatro del Sótano in Barcelona/Spanien. Annie O’Callaghan im Gespräch

Annie O'Callaghan ist eine Schauspielerin, Autorin, Regisseurin, Dozentin und Produzentin mit irisch-venezolanischen Wurzeln. Sie studierte Soziale Kommunikation und Audiovisuelle Künste an der Universidad Católica Andrés Bello in Caracas, und da sie schon von klein auf Theater spielte, engagierte sie sich in der Theatergruppe der Universität, Teatro UCAB. Nach ihrem Abschluss übernahm sie die Co-Leitung der Gruppe, während sie als Dozentin Theatergeschichte, Szenische Kunst, Drehbuchschreiben und Regie unterrichtete. „Ich habe auch mit verschiedenen professionellen Theatergruppen in Venezuela gearbeitet, als Schauspielerin, Regisseurin, Produzentin und als Verantwortliche für die Technik. Ich habe diese umfassende Arbeit im Theater sehr genossen.“ Teatro UCAB ist in erster Linie darauf ausgerichtet, Theater als Bildungswerkzeug für Gemeinden zu entwickeln, daher konnte das Ensemble in Venezuela auch in das Landesinnere reisen, manchmal in sehr abgelegene Orte, um dort Aufführungen und Theaterworkshops anzubieten. „Wir waren im Ensemble überzeugt, dass man in einem Stück der Hauptdarsteller oder die Hauptdarstellerin sein kann und dann im nächsten Stück die Beleuchtung macht. Alle werden gebraucht, aber niemand ist der Mittelpunkt - daraus habe ich gelernt, dass jeder kleine Teil der Maschine wichtig ist. Und das ist mir immer sehr präsent geblieben.“

Annie zog dann nach Barcelona, um im Teatro de los Sentidos immersive Theaterformen einzuüben. „Sie hatten zum Beispiel Installationen auf der Bühne, in denen die Zuschauer als ‚Reisende‘ in verschiedene Räume hineingegangen sind und eine Geschichte über ihre eigene Reise mitgestaltet haben.“ Annie blieb in Barcelona, wo sie mit Theatergruppen wie dem Jocular Theatre, IPA Productions, Escapade Theatre und der Barcelona Improv Group arbeitete. 2019 gründete sie ihre eigene Gruppe, Asociación de Investigación Artística Teatro del Sótano, eine gemeinnützige Organisation, die sich der künstlerischen Forschung und der Entwicklung sozial bewusster Theaterformen durch kollektives Gestalten widmet. „Angefangen hat es damit, dass ich gesehen habe, wie viele Migrant:innen aus Venezuela in Barcelona sind, und darunter auch viele meiner ehemaligen Student:innen und Kolleg:innen. Ich bringe gern Menschen zusammen, und so habe ich Menschen, die ich schon lange kenne, mit Menschen verbunden, die ich in Barcelona kennengelernt habe. Unsere erste Produktion, mit Akteur:innen aus Irland, Neuseeland, Puerto Rico, Spanien, den USA und Venezuela hieß Irse, Weggehen - es ging um unsere Migrationsgeschichten.“

Annie O’Callaghan (Mitte) spielt in “Dieron las 13” im Theatre Enjolit, Juni 2024 (Foto: Ricardo Espinoza)

Während Annie langsam das Teatro del Sótano aufbaut, hat sie auch geholfen, eine andere Kompanie, Camp Fire Theatre, zu gründen, die hochwertiges Theater in Englisch an Schulen bringt, und sie engagiert sich im BCN Studio Projekt mit dem Ziel, einen physischen Theaterraum zu bauen, in dem verschiedene Arten von darstellenden Künsten stattfinden können. Wenn man in einem Netzwerk arbeitet, sind digitale Werkzeuge unverzichtbar für die Kommunikation und die Zusammenarbeit, aber sie bieten auch neue Möglichkeiten für den künstlerischen Ausdruck. „Als die COVID-Pandemie ausbrach, haben wir gerade Irse produziert und waren plötzlich im Lockdown - wir haben uns auf Zoom getroffen und beschlossen, mit 360-Grad-Videos zu experimentieren, also haben wir das Stück in einem Kreis entwickelt. Wir haben die Inszenierung dann live auf die Bühne gebracht, die Schauspieler:innen haben einen Kreis gebildet, und die Idee war, dass man als Zuschauer oder Zuschauerin entscheiden kann, welcher gespielten Figur man folgt, es war also auch die Erfahrung, zu wählen, was man hört und was man sieht.“ Das Teatro del Sótano veranstaltete 2020 ein Festival für virtuelles Theater, Caja Negra, und fing an, die Schnittfläche zwischen dem Filmemachen - Aufnahme, Beleuchtung, Kameraeinstellung - und dem performativen Live-Element zu erforschen. So nahm die Komposition der Aufführung den Charakter eines Live-Filmschnitts an. „Und die Schauspieler:innen mischten den Aufführungsraum mit ihrem persönlichen Raum, denn wir waren digital bei allen zu Hause. Wir haben sogar einen poetischen Film von dem, was am Ende dabei herausgekommen ist.“

In seinem Beitrag zur gLOKALE 2024 zeigt das Teatro del Sótano eine kürzere Version des Irse-Drehbuchs, das sich mit Migration und der Erinnerung in Gegenständen auseinandersetzt. Das Stück wird dabei an ein virtuelles Format angepasst. „Wenn man sein Zuhause verlassen muss, was nimmt man dann mit? Welche Bedeutung haben die Gegenstände, wenn sie aus ihren früheren Kontexten herausgenommen werden, und welche Bedeutung bekommen die Gegenstände, die in der früheren Umgebung bleiben?“ Als Annie nach Venezuela zurückkam, fand sie eine Schachtel mit Babyzähnen, die ihre Mutter in einer Schublade aufbewahrt hatte, und wusste nicht, was sie damit anfangen sollte. Gegenstände dieser Art können in etwas anderes verwandelt werden, in Poesie, und sie landen oft im Keller - einem Ort, an dem man Dinge aufbewahrt, die sonst nirgendwo hingehören.

„In dem Stück öffnen zwei Schauspielerinnen, die zwei Versionen ein und derselben Person darstellen (vor und nach der Abreise), Kisten in einem Keller, sprechen über die Dinge, die zum Vorschein kommen, und mit jedem Gegenstand öffnet sich ein Fenster in verschiedenen Teilen der Welt. Unsere Teilnehmer:innen reagieren live online an ihren Orten - sie zeigen Fotos, geben Einblick in ihre Umgebung und sprechen oder rezitieren Texte: sie gestalten ihre eigene Komposition.“ Diese Fenster sind puertas portátiles, „tragbare Türen“, und die Idee dahinter ist, dass das Publikum die Erinnerungen sieht, die in einem Gegenstand enthalten sind, und damit auch die Orte, die eine Person in sich trägt. Einige Szenen werden auf Spanisch gespielt, andere auf Englisch - worin sich abbildet, dass Teatro del Sótano eine multinationale Gruppe ist. „Was wir tun, ist auch in dem Sinn poetisch, dass die Poesie es dem Publikum möglich macht, sich einzulassen - alle haben einen Raum, und selbst wenn sie nicht alles verstehen, gibt es immer etwas, das sie aufnehmen können.“ Das Stück wird live auf der Digitalen Bühne gezeigt und gestreamt, das Publikum nimmt online teil, und damit Interaktion möglich wird, sind in einer anschließenden Diskussion alle eingeladen, ihre Kommentare, Fragen und Ideen einzubringen.

Im Blick über die gLOKALE Veranstaltung am 28. September hinaus skizziert Annie langfristige Perspektiven für das Teatro del Sótano. Die Gruppe hat gerade ein neues Stück entwickelt, Dieron las 13, Die Uhr hat 13 geschlagen, in dem es um weibliche und männliche Energien geht - neue Archetypen der Männlichkeit und Weiblichkeit werden erkundet. „Wir sehen Theater als ein Medium zum Nachdenken, und wir wollen Geschichten erfinden, mit denen wir das Publikum in eine aktive Beziehung zu Themen bringen können, die für alle wichtig sind. Wir werden weiter die Möglichkeit erforschen, mit gemischten Medien Menschen und Orte zu verbinden. Je mehr wir zusammenarbeiten, desto besser für alle - ich denke, darin liegt die Magie, nicht darin, dass wir man etwas für sich selbst tut.“ Wir freuen uns auf künftige Entwicklungen und neue Kooperationen.

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