Thomas Engel im Gespräch - Teil 1

von DigitaleBuehne_Admin

Einblick in das Digitale Bühne Netzwerk: Das deutsche Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI)

Einblick in das Digitale Bühne Netzwerk

Thomas Engel / Foto: ITI Germany

Das deutsche Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI)

Thomas Engel im Gespräch - Teil 1

Thomas Engel hat als Dramaturg und promovierter Theaterwissenschaftler 12 Jahre lang an Theatern der DDR und BRD gearbeitet. 1995 kam er ans deutsche ITI Zentrum, das er seit 2002 als geschäftsführender Direktor leitet. Das ITI wurde 1948 im Auftrag der UNESCO gegründet, als ein Medium der Völkerverständigung und eine Brücke zwischen verschiedenen Kulturen in der Theaterarbeit. 1955 und 1959 entstanden ein westdeutsches und ein ostdeutsches ITI Zentrum, die in der Zeit des Kalten Krieges immer wieder einmal zusammengearbeitet haben, aktuell sind 79 Länder im Weltverband vertreten. Das ITI war eine Möglichkeit der Begegnung und Kooperation, lange bevor staatliche Kulturabkommen geschlossen wurden, und bleibt neben den projektbezogenen Theaternetzwerken ein wichtiges Forum für den Austausch. „Durch die Arbeit im ITI lernt man, die eigenen Problemlagen in Deutschland oder in Europa noch einmal durch andere Augen zu sehen. Von verschiedenen Theaterkonzeptionen bis hin zu Fragen von Kulturpolitik und Politik im Allgemeinen findet man im Verband sehr unterschiedliche Erfahrungshorizonte und kulturelle Hintergründe, und auch Kompetenzen, die von den eigenen stark abweichen. Im besten Fall ergänzt sich das auf großartige Weisen.“

Stefan Winter. Seit einigen Jahren sehen wir eine Veränderung im Theater durch die neuen Medien. Als René Pollesch 2007 sein Stück „Im Tal der fliegenden Messer“ in einem Zelt vor der Volksbühne zeigte, war da, wo sonst zentral die Bühne ist, eine Videoprojektionsfläche, rechts gab es eine kleine Bühne und links einen Zirkuswagen, aus dem Szenen per Kamera auf den großen Videoscreen übertragen wurden. Aus dem Außenraum wurden Live-Szenen eingespielt, zufällige Begegnungen der Schauspieler:innen mit Passanten, und man sah auch vorab gefilmte Szenen, zum Beispiel eine Verfolgungsjagd in Booten auf der Spree. Somme toute war das eine mediale Erweiterung der klassischen Theaterformate.

Thomas Engel. Im Grunde gibt es diese Einbeziehung neuer Medien seit Piscator, der an der Freien Volksbühne mit den Übergängen von Film und Theater zueinander experimentiert hat. Frank Castorf hat darauf bewusst zurückgegriffen, als er in den 90er Jahren die Volksbühne übernahm, und seitdem hat diese Linie systematisch einen Siegeszug angetreten, mit live gefilmten Video-Szenen, die eben nicht als Film vorproduziert wurden, sondern ortsversetzt gleichzeitig stattfanden und auf der Leinwand eingespielt wurden. Sie haben das Ereignis des Momentanen mitproduziert und -transportiert, mit beweglichen Kameras konnte man den Akteuren überall hin folgen und andere Räume erschließen. Die Art und Weise des Produzierens im digitalem und im gespieltem Live-Ereignis greifen immer mehr ineinander und sind eigentlich kaum noch voneinander zu trennen. Mit der Pandemie hat sich noch einmal ein enormer Schub ergeben, digitale Begegnungen als tatsächliches Arbeitsmedium wahrzunehmen und zu nutzen

Kunstquartier Bethanien / Foto: ITI Germany

Stefan Winter. In der Entwicklungsgeschichte der Digitalen Bühne hat das deutsche ITI von Anfang an eine Rolle gespielt. Als das Projekt in der Pandemie entstand, lag der Akzent zuerst einmal auf dem Arbeitsfeld Musik - Gruppen und Ensembles konnten im Lockdown nicht mehr zusammen proben, und die Digitale Bühne gab ihnen dann die Möglichkeit, ihre künstlerische Arbeit fortzusetzen. Aber auch für das Theater war das neue digitale Medium ja relevant.

Thomas Engel. Als die Digitale Bühne Initiative anfing, haben alle im Lockdown ihre Erfahrungen mit digitalen Tools gesammelt, wir haben auch viele Systeme ausprobiert und wieder verworfen - es war ein gesellschaftlicher Lernprozess, in dem digitale Kompetenzen aufgebaut werden mussten und auch die Frage der Datensicherheit eine große Rolle spielte. In dieser Lage war es großartig, dass sich eine Initiative, ausgehend von dem Ungenügen der Konferenzsysteme für die Anforderungen einer digitalen Zusammenarbeit im Bereich der Musik, auch der Bedürfnisse der darstellenden Künste annahm. Wir fanden es singulär und unbedingt unterstützenswert, dass das Digitale Bühne Team eine Lösung entwickelte, die wegging von der allgemeinen Ausrichtung auf Meetings und Geschäftsabsprachen und stattdessen künstlerische Anwendungen in den Mittelpunkt stellte.

Stefan Winter. In der Musik macht es die Digitale Bühne möglich, online von verteilten Orten aus gemeinsam zu proben, aber auch für das Theater ist die Möglichkeit der digitalen oder der hybriden Probe eine wertvolle Ergänzung zur physischen Probe in Präsenz.

Thomas Engel. Überall, wo Gäste eine Rolle spielen, überall, wo eine Produktion an einem anderen Ort umgesetzt werden soll, sind digitale Werkzeuge bereits Bestandteil der Zusammenarbeit im Theater, und ebenso auch im Fall von Regisseur:innen und Künstler:innen, die aus politischen Gründen nicht ausreisen dürfen. Serebrennikov hat ganze Inszenierungen mit solchen Tools gemacht, und hätte er die Digitale Bühne schon gekannt, dann hätte er diese bessere Möglichkeit sicher gern eingesetzt. Im Blick auf unsere Notwendigkeit, nachhaltig zu arbeiten und Reisen so weit zu minimieren, dass sie nur dann stattfinden, wenn man sie wirklich braucht, denke ich, dass die Digitale Bühne auch für das Theater enormes Potenzial bereitstellt. Hier brauchen wir den Freiraum, Referenzprojekte zu entwickeln, in denen diese neuen Möglichkeiten experimentell ausprobiert und eingesetzt werden können. Allein die Möglichkeit, sich akustisch ganz anders wahrnehmen zu können, wenn man im selben digitalen Raum zusammengeschaltet ist, schafft eine auf den ersten Blick vielleicht nicht sofort sichtbare, aber durch Erfahrung wertzuschätzende neue und authentische Art der Interaktion. Schon das ist etwas völlig anderes als stumm geschaltet zu werden, wenn man gerade nicht redet.

Teil 2 des Gesprächs erscheint im Newsletter April 2023.

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