Thomas Engel im Gespräch - Teil 2

von DigitaleBuehne_Admin

Einblick in das Digitale Bühne Netzwerk: Das deutsche Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI)

Einblick in das Digitale Bühne Netzwerk

Thomas Engel / Foto: ITI Germany

Das deutsche Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI)

Thomas Engel im Gespräch - Teil 2

Stefan Winter. Man kann die Bühne und den Publikumsraum im Theater nicht voneinander trennen, sie bilden einen einzigen Ereignisraum, in dem es einen Feedback Loop gibt zwischen den beiden Seiten. Mit digitalen Mitteln haben wir jetzt die Möglichkeit, den Publikumsraum zu erweitern: so hat zum Beispiel das teatreBLAU im letzten Jahr die Oper Ba Ta Clan, eine Inszenierung mit digitalem Bühnenbild, über die Digitale Bühne und ein Kamera-Videosystem gestreamt, so dass auch ein Publikum, das von anderen Orten digital dazukam, teilhaben konnte. Im Anschluss konnte das zugeschaltete Publikum einen Dialog aufnehmen mit den Schauspieler:innen auf der Bühne und dem Publikum vor Ort. Mit den digitalen Medien verändert sich auch das Verhältnis von Bühne und Publikumsraum.

Thomas Engel. Der digitale Raum ist durch die Zweidimensionalität des Mediums und durch seine andere Art der Atmosphäre vom physischen Live-Raum unterschieden, aber zugleich fangen beide an sich zu vermischen. Die Rezeption des Bildschirms oder der Projektionsleinwand wird natürlich eine andere bleiben als die Rezeption eines Präsenzraums, der eine eigene Qualität der Interaktion bietet. Auf der Seite der Produktion ist die Möglichkeit, Geschehnisse einzubinden, die nicht am Ort stattfinden, ein enormer Reiz, Dinge anders erzählen zu können. Es ist toll, was da im Moment alles ausprobiert wird - man kann gespannt sein, was in dieser Richtung noch erschlossen wird.

Stefan Winter. Das teatreBLAU ist ein Ensemble, das über verschiedene Orte verteilt ist, einige Mitglieder leben auf Mallorca, andere in Berlin oder in Brandenburg auf dem Land, und je nach Aufführung kommen noch externe Gäste dazu. Die Oper Ba Ta Clan hat das Ensemble auf der Digitalen Bühne remote entwickelt und geprobt, und erst für die letzten Proben und die Aufführung waren sie wieder physisch zusammen. Sehen sie diese neue Art der Zusammenarbeit als eine Tendenz in der Theaterlandschaft?

Kunstquartier Bethanien / Foto: ITI Germany

Thomas Engel. Ich glaube, dass die internationale oder transnationale Theaterarbeit längst im Alltag angekommen ist. Als Einwanderungsgesellschaft haben wir viel mit Künstler:innen zu tun, die aus Herkunftsnationen über die ganze Welt ihre Netzwerke mitbringen, mit alltäglicher Kommunikation über tausende von Kilometern, über Videotelefonie, WhatsApp, Facebook Chats, wo die digitale Kopräsenz der Gesprächspartner:innen zum Alltag gehört. Das bildet sich auch in Theaterprojekten zunehmend ab, dieses vernetzte Sein wird stärker zum Ausgangspunkt. In der internationalen Theatergruppe Kula beispielsweise treten auch viele geflüchtete Frauen von inzwischen verbotenen Theaterprojekten aus Afghanistan auf, mit denen man natürlich im Vorfeld über soziale Medien kommuniziert hat. Wenn man in solchen Strukturen zusammenarbeiten will, haben digitale Werkzeuge eine tragende Bedeutung.

Stefan Winter. Wenn Sie die Möglichkeiten der Digitalen Bühne in die Zukunft projizieren, welche Szenarien sehen Sie dann?

Thomas Engel. Es wäre ideal, wenn man mit dem künstlerischen Produktionsinstrument Digitale Bühne auch die Besprechungen für alle Bereiche der Organisation abhalten würde und dafür nicht wieder andere Systeme einsetzt. Vielleicht könnte ein übergreifendes Projekt wie der „Datenraum Kultur“ ein Bereich sein, in dem sowohl das datensichere, digital vielgestaltige künstlerische Produzieren als auch die klassische digitale Zusammenarbeit des Konferierens über eine einzige Schnittstelle möglich wird.

Stefan Winter. Welche Bedeutung wird ein Medium und Werkzeug wie die Digitale Bühne in der Zukunft für das ITI haben?

Thomas Engel. Mit den Möglichkeiten der Zusammenarbeit im digitalen Raum könnte und sollte sich das künstlerische Produzieren im Theater stärker verzahnen mit den administrativen Umfeldern, mit dem Konferieren, Planen, Beantragen ... Wenn man dann ganz selbstverständlich digital oder hybrid proben und andere Erarbeitungsprozesse fortsetzen kann, egal wo man sich gerade befindet, dann wäre das ein großartiger Zustand, der uns wahrscheinlich erst einmal in die Gegenbewegung führen würde, dass man nicht mehr so schnell alle Projekte, die sich bieten, zusagt. Man könnte sie ja dann sehr schnell umsetzen, egal wo die Projektpartner:innen gerade sind, und müsste sicher die Frage der Auswahlfilter und der Ressourcen noch einmal neu stellen. Aber grundsätzlich finde ich diese Aussicht für das ITI als Weltverband, dem eben auch Länder angehören, die abseits des allgemeinen Festival-Mainstreams liegen und in denen auch die Reise- und Austauschmöglichkeiten hochgradig kompliziert sind, eine große Bereicherung. Auch im Blick auf die Nachhaltigkeit im Klimaschutz spielen digitalen Produktionsmöglichkeiten eine sehr wichtige Rolle.

Teil 1 des Gesprächs erschien im Newsletter März 2023.

Zurück zur Newsübersicht

Mitmachen und ausprobieren