Thomas Jacobi und Johanna Pärli im Gespräch - Teil 2

von DigitaleBuehne_Admin

Einblick in das Digitale Bühne Netzwerk: Tönstör, Bern

Einblick in das Digitale Bühne Netzwerk

Johanna Pärli / Foto: Nikkol Rot

Tönstör, Bern

Thomas Jacobi und Johanna Pärli im Gespräch - Teil 2

Stefan Winter. In der Arbeit mit der Digitalen Bühne gibt es manchmal eine technische Schwelle, die dann oft auch generationenabhängig ist. Ein klassischer Sänger in einem Kirchenchor ist gewohnt, in den freien Raum hinein zu singen, aber er hat jetzt mit Kopfhörer, Mikrofon und Monitor ein anderes Setting und muss sich darin erst einmal umstellen. Die jüngere Generation, die online chattet und ein Headset gewohnt ist, tut sich dabei leichter als eine ältere Generation.

Johanna Pärli. Das habe ich durchaus beobachtet. Für mich war das Proben mit der Digitalen Bühne wie eine Studiosituation, wo ich mit meinem Trio ein Stück so aufnehme, als ob wir ganz nah nebeneinander stehen würden. Vielleicht kommt auch ein etwas anderes musikalisches Ergebnis heraus, aber wir wissen ja, dass eine CD oder eine Aufnahme auch eine andere Erfahrung ist als ein Live-Konzert. Wir sollten keine Angst haben vor den neuen Möglichkeiten. Wir haben vor zwei Monaten begonnen mit musikalischen Tests, ich habe auch einen vermittlerischen Test gemacht im Einzelunterricht mit einem Schüler. Wir haben viele Ideen, wie wir mit der Digitalen Bühne arbeiten können.

Thomas Jacobi. Man fängt mit einer Vision an, und die positioniert man in verschiedene Szenarien. Wir hatten eine Anfrage von einer Klasse, die auf einem erhöhten Plateau in den Bergen sind, nicht weit von Bern, aber man muss zweimal umsteigen und mit der Gondel oder dem Spezialzug hochfahren zu ihrer Schule, das kann man nicht jede Woche machen. Aber wir können anbieten, dass wir ein- oder zweimal analog bei ihnen sind und den Rest digital gestalten. Wir können in unserem Programm einen Teil für Musik mit entlegenen Dörfern definieren, das wäre eine Vision. In einem neuen Projekt gehen wir an Bäche und vertonen sie mit experimenteller Musik, danach wird es Aufführungen geben, und es wäre schön, wenn dabei die anderen Klassen, mit denen wir das Projekt schon durchgeführt haben, über die Digitale Bühne eingespielt werden könnten. Dafür müssen wir technisch gut ausgerüstet sein, wir brauchen zwei Metakameras, um die Klasse einzufangen, und die passenden Mikrofone, hier müssen wir auch technisch planen.

Stefan Winter. Das ist eine Tendenz, das Analoge und das Digitale komplementär einzusetzen, so dass sie sich ergänzen. Unsere Entwicklungspartner:innen, die schon mit der Digitalen Bühne arbeiten, sind in unserem Netzwerk dabei, die ihre Erfahrungen mit den technischen Anforderungen für verschiedene Szenarien zu teilen.

Foto: M.C.

Fee Altmann. Die Welt klingt, und ich frage mich, ob die Digitale Bühne die geläufige Perspektive hier umkehren kann: anstatt der Situation unsere Sicht aufzusetzen, können wir die Welt erfahren, indem wir sie empfangen. Plötzlich können wir überall in die Welt hineinhören. Und ein Beispiel für das technische Set-up: das theatreBLAU brauchte auf der Bühne Mikrofone, die den Ton so gebündelt aufnehmen, dass sie kein Feedback erzeugen gegeneinander. Wenn das Theater seine Erfahrung mit Mikrofonen, die das leisten können, in unserem Digitale Bühne Netzwerk teilt, dann muss nicht jeder wieder von vorne anfangen.

Thomas Jacobi. Wenn ich mit Menschen meines Alters rede, höre ich oft pessimistische Töne über den Umgang einer jüngeren Generation mit dem Digitalen. Ich finde es schön, dass eine andere Generation einen anderen Zugang zur Welt hat, warum umarmen wir das nicht? In der digitalen Musikvermittlung steckt so viel soziales Potential, von Bern aus beamen wir in eine Schule oben in den Bergen, das ist doch grandios.

Johanna Pärli. Es geht ja noch weiter: man kann auch eine Partnerin aus Berlin dazuschalten, oder einen Musiker aus Indien. Man kann die Welt ins Klassenzimmer einladen.

Stefan Winter. Musik ist ein Medium, das verbindet und im gemeinsamen Spielen eine Erfahrung von Gemeinschaft möglich macht. Diese Erfahrung kann man jetzt in der digitalen Zusammenarbeit noch erweitern.

Thomas Jacobi. In der älteren Generation wissen die Chorsänger:innen, dass ein Notenständer auch manchmal nicht funktioniert, und übertragen müssen wir auch im Digitalen lernen, wo etwas hängen kann und wie wir damit umgehen - die jüngere Generation weiß das meistens schon, und für sie ist es kein Problem.

Johanna Pärli. Wenn wir digital miteinander musizieren und die Latenz dabei etwas größer wird, dann können wir kreativ damit umgehen und den Sound übereinander schichten, ich habe es vor kurzem mit einem Musiker ausprobiert. Latenz als künstlerisches Konzept.

Thomas Jacobi. Wenn man versucht, konzeptuell neu zu denken, dann ändert man damit auch die Perspektive und den Anwendungsbereich in der Welt. In der Schweiz hat jemand eine Landkarte errichtet, auf der man Echos, die man in den Bergen aufgenommen hat, uploaden kann. Man kann ein Verrücken von Sound über die Digitale Bühne auch als Echo verkaufen. Es kommt darauf an, wie man es in neue künstlerische Konzepte einbindet.

Fee Altmann. Wenn ihr aus der Initiatoren-Perspektive Projekte aufbaut, dann entstehen Räume, in denen ihr die Menschen zusammenbringt. Wenn sie sich einmal kennengelernt gelernt haben, können sie sich autonom auch zu anderen Zeiten treffen, und dann gehen wieder neue Räume auf.

Thomas Jacobi. Angenommen, wir würden die analoge/digitale Arbeit mit Schulklassen in entlegenen Dörfern in unser Programm aufnehmen, dann wäre zugleich die Idee dahinter, ein Netzwerk aufzubauen - zwischen den Schulen, mit denen wir arbeiten, aber auch unter ihnen. Wenn die Schule einen kleinen Raum zur Verfügung stellen würde, in dem die Kids sich auf eigene Initiative miteinander austauschen können, dann kann so ein rhizomatisches Wachstum entstehen. Die Welt ist nicht nur voller Klang, sondern auch voller Möglichkeiten.

Teil 1 des Gesprächs erschien im Newsletter Dezember 2022.

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