Ulrike Schäfer, freie Autorin, im Gespräch

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test:

Die Digitale Bühne im Test

Foto: Angie Wolf

Ulrike Schäfer, freie Autorin, im Gespräch

Ulrike Schäfer ist Autorin, Schreibcoach und IT-Expertin. Nach ihrem Studium der Germanistik, Philosophie und Informatik arbeitete sie 15 Jahre im IT-Bereich und verlagerte dabei ihren Fokus schrittweise auf das künstlerische Schreiben, bis Auftritte, Veröffentlichungen und Schreibcoaching zu ihrem professionellen Zentrum wurden und sporadische IT-Projekte zur Peripherie. „Ich schreibe Prosa, in kurzen Formaten, und Theaterstücke, zum Beispiel die Bühnenfassung des zeitkritischen Nachkriegsromans ‚Die Jünger Jesu‘ von Leonhard Frank, und mit Boris Wagner das Stück ‚Hannah & Elisabeth‘, in dem sich eine Autorin, die 1898 für die Frauenrechte in der Bildung eintritt, und eine promovierte Biologin aus der Jetztzeit über die Verschiedenheit ihrer Lebenswelten, aber auch die erschreckenden Kontinuitäten im Kampf um Gleichberechtigung verständigen.“ Für ihre Texte wurde Ulrike Schäfer mit zahlreichen Preisen und Förderungen ausgezeichnet, und auch ihre Prosa kann das Publikum in Auftritten live erleben - von klassischen „Wasserglas-Lesungen“, in denen sie ein eher älteres Publikum anzieht, bis hin zu performativen Formaten, in denen sie gemeinsam mit Poetry Slam-Kolleg:innen, Musiker:innen und Künstler:innen aus anderen Sparten auch ein jüngeres Publikum erreicht. „Auf der Würzburger Lesebühne ‚Großraumdichten & Kleinstadtgeschichten‘ zum Beispiel lese ich seit 2014 mit Pauline Füg und Tobias Heyel, die ihre performative Lyrik und Elektropoesie aufführen. Wir freuen uns, dass wir mit diesen Mischformen das Interesse von jungen wie alten Menschen finden. Beim nächsten Auftritt werden uns die Autorin Krystyna Kuhn und der Zauberkünstler Christoph Demian als Gäste begleiten.“

Als Mitglied des erweiterten Vorstands engagiert sich Ulrike Schäfer im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) in Bayern. „Der VS ist der größte Verband für Schriftsteller:innen in Deutschland. Er wurde 1969 gegründet mit dem Ziel, Autor:innen in ihren berufspolitischen Belangen zu vertreten - zum Beispiel durch das Aushandeln von Normverträgen mit dem Börsenverband des Deutschen Buchhandels und das Ringen um faire Urheberrechte gerade in Zeiten der Digitalisierung - und die Autor:innen in ihrer besonderen Verantwortung für gesellschaftliche Themen, etwa der Meinungsfreiheit, zu repräsentieren.“ Ein aktuelles Thema ist die Künstliche Intelligenz, die Ulrike Schäfer gleichermaßen mit Faszination und Schrecken sieht - neuen Möglichkeiten auch im Textbereich steht die schier überwältigende Aufgabe der gesellschaftlichen Kontrolle und der Verhinderung von Missbrauch gegenüber -, und ganz generell wird die Digitalisierung in Kunst und Kultur auch im VS facettenreich diskutiert.

Im Namen des VS Bayern hat Ulrike Schäfer 2023 mit dem Jazz-Gitarristen Christian Bekmulin die PC-Version der Digitalen Bühne getestet. „Ich trete sehr gern mit Musiker:innen auf, nicht nur im Wechsel von Text und Musik, sondern auch in einem Zusammenspiel, in dem der Musiker Textpassagen klanglich unterlegt, und dafür müssen wir genau aufeinander eingestimmt sein. Das haben wir von verschiedenen Orten aus auf der Digitalen Bühne ausprobiert und waren beide sehr beeindruckt. Mit der Klangqualität und Synchronizität der PC-Version konnten wir präzise proben.“ Auch im Text-Text-Bereich kann Präzision beim Proben gemeinsamer Auftritte wichtig sein. So sprechen Pauline Füg und Tobias Heyel zum Beispiel ihre Texte teils synchron, teils wie einen Kanon, und auch dabei müssen sie sich aufeinander genau abstimmen können. „Über die Lesung vor Ort hinaus könnte ich mir auch eine Online-Aufzeichnung oder ein Live-Streaming mit der Digitalen Bühne vorstellen, womit man dann ein viel weiteres Publikum erreicht. Es gibt unter den Autor:innen, zumindest unter den älteren, allerdings eine gewisse Scheu vor der Technik - bei klassischen Lesungen in Präsenz ist immer jemand anders für die Technik zuständig, und hier ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Digitale Bühne nicht nur eine Softwarelösung bietet, sondern auch Support, Anleitung und Unterstützung.“

Ulrike Schäfer bei einer Lesung im Kunsthaus Michel, Würzburg (Foto: Thomas Stadler)

Im Blick auf die Entwicklungslinien in die Zukunft sieht Ulrike Schäfer das Potenzial, dass sich aus den digitalen Möglichkeiten neue Kunstformen entwickeln können. „Es gab die Twitter-Kunst, wo die Beschränkung auf eine bestimmte Zahl von Zeichen zu einer ganz eigenen Art von Poesie geführt hat. Aber auch die Rezipient:innen verändern sich. Die Aufmerksamkeitsspanne wird aufgrund der geänderten Mediennutzung kürzer. Andererseits wird die Aufnahmefähigkeit etwa für nonlineares Erzählen mit schnellen Schnitten größer. In der Folge entstehen schon seit einiger Zeit kurze, sehr intensive Kunstformen, im Textbereich und auch im Film.“ Ein weiteres Format ist Ulrike Schäfer beim Testen der Digitalen Bühne eingefallen: mit dem Raumeditor der Digitalen Bühne, mit dem man Stimmen und Klangquellen beliebig im Raum anordnen kann, wird es für Prosaautor:innen möglich, in Dialogsequenzen hörspielartige Effekte zu erzeugen und weiterführend einzusetzen. Und auch das Spektrum der Orte einer Lesung wird aktiv erweitert. „In der Städteleseaktion ‚Würzburg liest ein Buch‘ steht immer ein ausgewähltes Buch im Mittelpunkt, und die Lesungen finden teils an ungewöhnlichen Orten statt. Auch mit der Autorengruppe liTrio, die der Romanautor Hanns Peter Zwißler, der Lyriker Martin Heberlein und ich 2010 gründeten, bin ich schon an ungewöhnlichen Orten aufgetreten: Einmal haben wir auf der Baustelle eines neu entstehenden Seniorenheims gelesen, und im Herbst werden wir in einer ehemaligen Metzgerei auftreten. Das sind sehr inkludierende Formate, die nicht nur das klassische Lesungspublikum ansprechen.“ Umgekehrt gibt es auch das Site-specific-writing, in dem sich Autor:innen auf einen spezifischen Ort und seine Atmosphäre konzentrieren, teils darin auch zusammenarbeiten und ihre Texte dann vor Ort in performativen Formaten lesen. Wenn der Auftritt live gestreamt wird, dann ist die Kunst mit ihrem sehr individuellen, besonderen Ort auch für ein Online-Publikum präsent, das virtuell in alle Richtungen offen ist.

Im Fazit ist die Kunst immer wieder in der Lage, neue Ausdrucksformen zu finden - durch neue Technologien werden neue Formate möglich, und umgekehrt führen künstlerische Anforderungen und Ideen auch zur Entwicklung neuer technologischer Möglichkeiten. „In dieser Bewegung wird man sich auch von einigen Formaten verabschieden oder zumindest damit abfinden müssen, dass sie nur noch ein kleines Publikum erreichen. Das sehe ich durchaus auch mit Wehmut und Abschiedsschmerz. Aber wenn man sich umgekehrt von diesen Veränderungen selbst verändern lässt, laufen künstlerisch sehr spannende Prozesse ab.“

Zurück zur Newsübersicht

Mitmachen und ausprobieren