Im Lockdown sahen viele Künstler*innen, dass das Internet für die Probe, den Auftritt und den Unterricht im digitalen Raum nicht ausgelegt ist – die Möglichkeit der künstlerischen Nutzung wurde nicht mitgedacht. „Mit der Pandemie wurde uns klar, dass der Raum des Internet noch nicht versinnlicht war.“ Die üblichen Videokonferenzsysteme übertragen nicht das ganze Klangvolumen und filtern Stimmen, Klänge und Geräusche – die Probe eines Chors zum Beispiel ist damit nicht denkbar. Fee sieht die Digitale Bühne daher als Symptom eines Bedarfs, wenn sie es Künstler*innen möglich macht, online gemeinsam zu arbeiten. Aber sie ist nicht nur ein Werkzeug, eine Technologie, sondern auch eine Perspektive, die man vorher nicht eingenommen hat – die Digitale Bühne verändert die Art, wie wir in der Kunst Sprache und Sound erfahren, und wie wir Räume wahrnehmen und gestalten. „Sie ist eine Möglichkeit, den digitalen Raum als Kulturraum sinnlich zu erfahren, und dieser neue Umgang mit dem Internet hat dann natürlich auch Auswirkungen auf unseren Umgang mit sozialen, politischen und ökonomischen Räumen.“
Im digitalen Raum sind lokale, regionale, nationale Grenzen aufgehoben, wir können online mit Menschen musizieren oder Theater spielen, die an anderen Orten und in anderen Ländern leben, und in der digitalen Live-Erfahrung, die wir durch eine besondere Audioqualität bekommen, begegnen wir uns auch auf eine andere Weise. „Die Digitale Bühne öffnet einen Erfahrungsraum, den wir künstlerisch gestalten können, und sie ist zugleich ein Instrument, um die digitalen Möglichkeiten zu befragen.“ Die digitale Kulturerfahrung soll darin die analoge nicht ersetzen und verdrängen, sondern sie bereichern und erweitern. In der Loslösung von Beschränkungen unterstützt die Digitale Bühne die Nachhaltigkeit, wirtschaftlich und ökologisch, wenn zum Beispiel ein Orchester online probt, aber analog auftritt und dadurch Reisen einspart.
In allen diesen Möglichkeiten geht es Fee nicht darum, analoge Erfahrungen 1:1 in den digitalen Raum zu übertragen, sondern das Digitale als eine Dimension zu denken, die eine neue Art der Erfahrung und der Interaktion, auch mit dem Publikum, ermöglicht. „In einem Konzert im digitalen Raum kann das Publikum mehr Nähe und Intimität erleben als in einem Rockkonzert, wo man von der Bühne weit entfernt ist, oder in einer Oper, wo man in der hinteren Reihe sitzt.“ In der Oper, im Theater bleibt die Bühne traditionell vom Publikum getrennt, aber die Digitale Bühne bietet die Möglichkeit, das Miteinander künstlerisch neu zu gestalten – nicht in einer Auflösung aller Grenzen, sondern in einer neuen Konstellation des Gegenübers, der Zusammenkunft. „Wir können aus einer künstlerischen Perspektive ausloten und ausprobieren, was der digitale Raum sein kann.“
Als ein weiteres Feld für Experimente sieht Fee die hybriden Formate – die hybride Probe, wo Akteure digital zugeschaltet werden, und den hybriden Auftritt, wo digitale Elemente oder digitale Bildsequenzen im Konzert- oder Theaterraum erscheinen. „Man kann in einem Theaterstück auch Mitglieder einer Schauspielgruppe aus dem Gefängnis digital zuschalten und so andere soziale Räume in das Theater hineintransportieren.“ Das hybride Live-Konzert mit dem Dark Tenor, das die Digitale Bühne mit den Fraunhofer Instituten im Dezember 2021 organisiert hat, war eine neue Erfahrung des Konzertraums, aber vor allem war es die Erfahrung, dass Musiker, die an verschiedenen Orten spielen, miteinander interagieren und wirklich gemeinsam musizieren. Diese hybriden Formen werden sich weiter entwickeln, auch wenn es keine Pandemie mehr gibt.
„In die Zukunft hinein unterstützen wir, in Workshops und anderen Formaten, dass sich einzelne Akteure, Gruppen und Ensembles in Musik, Theater und Performance vernetzen über die Digitale Bühne.“ In einer nächsten Welle der Entwicklung soll die Software den Theatern noch mehr Features bieten und über die Verbindung mit OSB Studios auch die Möglichkeit eröffnen, digitale Räume szenografisch zu gestalten. Mit dem Anschluss an Live-Streaming-Plattformen und neuen Werkzeugen zur Interaktion mit dem Publikum soll die Digitale Bühne als ein Auftrittsraum ausgebaut werden. Sie bringt mehr Menschen in kulturelle Aktivitäten und wirkt inklusiv, indem sie neue soziale Gruppen integriert. Das Internet wird konsequent in seinen Chancen wahrgenommen und als eine demokratische Technologie gedacht. „Daher ist die Idee der Gemeinnützigkeit für uns zentral. Das heißt, dass die Digitale Bühne technisch niederschwellig und sehr kostengünstig möglichst allen zur Verfügung stehen soll. Es heißt aber auch, dass die Entwicklungsarbeit in einer gemeinsamen Anstrengung finanziert wird.“ Die Idee der Gemeinnützigkeit geht damit in die Geste der Solidarität zurück, in der die Digitale Bühne Initiative im Lockdown ihren Anfang nahm.
Teil 1 des Portraits erschien im Newsletter April 2022.