Initiator und Gesellschafter der Digitalen Bühne – Teil 1
Julian Klein gründete mit anderen Mitgliedern 2008 das Institut für Künstlerische Forschung Berlin (!KF – artistic-research.de) und erschließt seit vielen Jahren neue Horizonte für die Künste. Als er im ersten COVID-19-Lockdown kein leicht verfügbares digitales Werkzeug finden konnte, das es künstlerischen Ensembles ermöglicht, technisch und finanziell niederschwellig weiter gemeinsam zu proben und aufzutreten, reichte er das Problem im März 2020 für den Hackathon der Bundesregierung #WirVsVirus ein. Auf der Veranstaltung fand sich dann eine Gruppe von Expert:innen, die gemeinsam begann, die Digitale Bühne als Projekt aufzubauen, mit bereits vorhandenen Bausteinen und neuen Entwicklungen. „Es war für uns von Anfang an wichtig, dass wir möglichst vielen Gruppen und Ensembles in allen Künsten helfen, sich den digitalen Raum zu erschließen, auf der Grundlage der verschiedenen Rahmenbedingungen ihrer Anforderungen.“
Julian Klein bei der Produktion „Hans Schleif online“
Stefan Winter. Die Digitale Bühne war zunächst eine Antwort auf die Pandemie, in der viele Ensembles nicht mehr gemeinsam proben und auftreten konnten, und auch der Musik- und Schauspielunterricht nicht wie gewohnt weitergehen konnte. Im Einsatz der Digitalen Bühne wurde aber schnell deutlich, dass das digitale Medium in der Musik eine eigene, neue Dimension der Hörerfahrung öffnet und in anderen Künsten ebenso neue Räume aufspannt, die künstlerisch erfahren und gestaltet werden können.
Julian Klein. Auch wenn die Digitale Bühne in einer Art Notsituation zu Beginn der Pandemie entstanden ist, zielt sie im Ansatz darauf, überhaupt den digitalen Raum für die Künste zu erschließen und damit auch andere künstlerische Zugangsweisen zu eröffnen, als sie in einem Konzertsaal oder einem Theater möglich sind. Der digitale Raum, so wie er sich heute darstellt, wird von den „un“-sozialen Medien und von der Übergriffigkeit totalitärer Regime geprägt - das heißt, es ist eine große Aufgabe, ihn zu demokratisieren und als einen sozialen Raum des Miteinanders zu gestalten. Viele wirklich wichtige Probleme unserer Zeit wie der Klimawandel, der globale Hunger und die soziale Ungleichheit können derzeit nicht effektiv genug angegangen werden, weil viel zu viele gesellschaftliche und politische Gruppen überall auf der Welt es wichtiger finden, andere zu bekämpfen und zu bekriegen. Das ist die eigentliche Herausforderung unserer Zeit. Wir können nur hoffen, dass die Künste einen Beitrag leisten können, das zu ändern.
Stefan Winter. Die digitale Dimension öffnet neue Möglichkeiten und neue Formate der Inklusion, wenn zum Beispiel Jugendliche in ländlichen Gebieten mit anderen online gemeinsam musizieren, oder wenn soziale Gruppen an kulturellen Aktivitäten teilhaben können, von denen sie sonst getrennt geblieben wären. Auf einer professionellen künstlerischen Ebene hat sich die Digitale Bühne als ein Werkzeug für den Austausch und die Kooperation über regionale und nationale Grenzen hinweg bereits bewährt.
Julian Klein. Die Möglichkeit, digital zusammen Kunst zu machen, erschließt natürlich neue Wege der Zusammenarbeit, über geografische, aber auch über finanzielle und politische Grenzen hinweg. Wir wollen es gerade den Ensembles, die kein gut ausgestattetes Studio in einer Institution zur Verfügung haben, möglich machen, dass sie sich verbinden können.
Stefan Winter. Das teatreBLAU, ein „Theater ohne festes Haus“ und ein Ensemble an verschiedenen Orten, bereitet in seinen Proben mit der PC-Version der Digitalen Bühne gerade eine hybride Aufführung vor, die auch ein digitales Bühnenbild integriert. Das erinnert an frühere Experimente, etwa von René Pollesch in Tal der fliegenden Messer, wo anstelle der zentralen Bühne eine Projektionsfläche Videosequenzen und gefilmte Live-Szenen aus dem Außenraum des Theaters zeigte.
Julian Klein. Wo man vor 15 Jahren noch einen nicht unerheblichen technischen Aufwand betreiben musste, um Live-Übertragungen von entfernten Orten herzustellen, kann man heute über das schnellere Internet einfachere Lösungen finden. Es gibt mittlerweile eine lange Reihe von interessanten Experimenten, die virtuelle Szenographien mit einem räumlichen Audio-System zusammenführen. Das Anliegen der Initiative Digitale Bühne ist, dass diese Möglichkeiten in Zukunft auch Ensembles zur Verfügung stehen sollen, die sich keinen großen technischen Aufwand leisten können. Virtuelle Räume sind akustisch, visuell oder auch interaktiv schon lange ein Experimentierfeld für die verschiedensten Künste, und ein Ziel unserer Initiative ist, möglichst vielen diese Experimente zu ermöglichen, auch außerhalb des Rahmens großer Institutionen oder Festivals.
Stefan Winter. Das Digitale Bühne Projekt ist motiviert durch die Idee des gemeinnützigen Miteinanders, in dem Amateure ebenso wie Profis den digitalen Raum künstlerisch aneignen und gestalten können. Dafür ist gefordert, dass die Digitale Bühne nicht nur technisch einfach zu handhaben ist, sondern auch finanziell niederschwellig zur Verfügung steht.
Julian Klein. Wir versuchen, von den deutschen Bundesländern Förderungen zu bekommen, und arbeiten dazu mit den künstlerischen Verbänden zusammen, damit sie dann ihren Mitgliedern, den einzelnen Ensembles, die Digitale Bühne kostenfrei zur Verfügung stellen können. Einige Länder haben sich bereits engagiert, von den anderen wünschen wir uns noch Unterstützung.
Stefan Winter. Mariana Mazzucato, die Ökonomin und EU-Beraterin, sprach sich dafür aus, dass etwas so Wichtiges wie das Ökosystem der Innovation staatliche Unterstützung braucht und nicht allein dem Markt überlassen bleiben kann. Das gilt sicher auch für die Digitalisierung in Kunst und Kultur.
Julian Klein. Ja, denn sonst wird der digitale Raum weiter kommerzialisiert, mit der Konsequenz, dass nur denjenigen, die es sich leisten können, die neuen digitalen Werkzeuge zugänglich sind. Das ist aber gerade für künstlerische Anwendungen Gift, da sie ohnehin bereits mit einer fortschreitenden Kommerzialisierung der Künste kämpfen müssen. Kunst ist aber ein menschliches Grundbedürfnis, und deswegen gehört, um die im Grundgesetz garantierte künstlerische Freiheit auch leben zu können, zur staatlichen Pflicht der Daseinsvorsorge unserer Meinung nach auch der Zugang zur digitalen Infrastruktur. Im Blick auf die vielen Aspekte, in denen die Digitale Bühne die Gesellschaft bereichern kann, hoffen wir, dass wir von den Ländern und dem Bund, aber auch international weitere Unterstützung bekommen können.
Teil 2 des Gesprächs erscheint im Newsletter September 2022.