Backstage: Julian Klein

Die schöne grüne Wiese – Erkundungen im imaginären Raum / Foto: Tools Festival 2021

Initiator und Gesellschafter der Digitalen Bühne – Teil 2

Julian Klein. Der digitale Raum ist in einer Weise ambivalent, weil er uns einerseits trennt, aber andererseits auch zusammenbringen kann, vor allem auch Menschen, die sonst nicht zueinander finden würden - über regionale, nationale, und auch finanzielle Grenzen hinweg. Mit der Digitalen Bühne können Menschen in künstlerischem Unterricht, Proben und Aufführungen zusammenkommen, die aus welchem Grund auch immer nicht vor Ort sein können, und es ist möglich, Gruppen zu integrieren, die sonst nicht am kulturellen Geschehen teilnehmen würden oder könnten. Eine andere Inklusion ist möglich und soziale Formate können entstehen, die andere Menschen wirklich mitnehmen können.


Julian Klein bei der Produktion „Hans Schleif online“

Stefan Winter. In ihren verschiedenen Anwendungsfeldern öffnet die Digitale Bühne neue Räume und neue Formen der Zusammenarbeit, aber auch neue Arten der Wahrnehmung. Und sie ist nicht nur ein Medium, das den Künsten diese Wege und Bewegungen ermöglicht, sondern auch ein Werkzeug, um die veränderten Perspektiven künstlerisch zu reflektieren. In den performativen Künsten macht die Digitale Bühne hybride Formate möglich, in denen ein Teil der Aktiven auf der Bühne sind, andere digital zugeschaltet werden, und nur ein Teil des Publikums die Aufführung vor Ort miterlebt. Das Bühnenbild enthält digitale Elemente oder ist eine virtuelle Szenographie, und im Ganzen entsteht eine neue Erfahrung des theatralen Raums.

Julian Klein. Der digitale Fortschritt bringt es mit sich, dass der digitale Raum selbst immer immersiver wird und hybrid mit der realen Welt verschmilzt. Das macht vor dem Theater nicht halt, und auch da ist das Thema nicht neu. Gerade die veränderte Körperlichkeit, die ein immersiver digitaler Raum mit sich bringt, ist für die performativen Künste eine Fundgrube neuer Möglichkeiten. Die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund, eine unserer Partnerinnen, macht solche Experimente, beispielsweise die Regisseurin Katharina Haverich hat im letzten Jahr ein Projekt zu diesen virtuellen Räumen aufgesetzt, und auch wir selbst haben ja zusammen mit SPECTYOU und dem Theater Rampe das Tools Festival ausgerichtet, um uns genau über solche Themen künstlerisch austauschen zu können. Was macht der digitale Raum mit dem Theater, was macht das Theater mit dem digitalen Raum? Und wie kann man sich in digitalen Räumen anders begegnen? Das ist für alle Künste ein ertragreiches Thema. Das Staatstheater Augsburg hat das digitale Theater als eigene Spielsparte am Haus etabliert und ist schon sehr fortgeschritten, was die dramaturgische Konzeption solcher Aufführungen angeht. Da geht es nicht mehr nur darum, Figuren auf die Bühne zu projizieren und ansonsten alles gleich zu lassen, sondern sich überhaupt die Frage zu stellen, wie man ein Publikum in einen virtuellen Raum einlädt

Stefan Winter. Im Theater und in der Musik ist die Bühne nie zu trennen vom Auditorium oder Zuschauerraum, es gibt zwischen beiden eine ständige Interaktion, einen Feedback-Loop. Wenn man mit digitalen Räumen arbeitet, wie kann man dann diese Interaktion ermöglichen?

Julian Klein. Das haben die verschiedenen Produktionen auf unserem Tools Festival unterschiedlich gelöst. In einer Aufführung wurde eine Performerin vom Publikum quasi ferngesteuert, über eine digitale Applikation. Sie bekam Anweisungen, wohin sie gehen soll und was sie tun soll. Das sind sehr alte Fragen, die man sich auch vor dem digitalen Zeitalter schon gestellt hat im Theater, das wird jetzt nur mit digitalen Mitteln noch einmal neu umgesetzt. Dieser gemeinsame Raum, in den man sich begibt, ist nicht nur ein physischer, sondern auch ein gedanklicher Raum. Indem man eine Theateraufführung besucht, betritt man auch ein Refugium, in dem bestimmte soziale Regeln gelten, die sonst nicht gelten. Dieser ganze Komplex ist ja für die performativen Künste überhaupt ein wichtiges Thema.

Stefan Winter. Es gab in den 1960er Jahren die Bewegung, aus den definierten Theaterräumen herauszugehen und andere Spielfelder zu entdecken, zum Beispiel aufgelassene Fabriken oder Straßenbahndepots. Auch Site-specific Performances sind entstanden, die die Geschichte eines Ortes evoziere und seine Entwicklungsmöglichkeiten projizieren. Kann die Digitale Bühne auch ein Mittel, um diese Art von Experimenten vorwärts zu bringen?

Julian Klein. Ja natürlich, und dazu gehört auch, die Technik zu mobilisieren - das ist eine der Baustellen, an denen wir gerade arbeiten.

Stefan Winter. Was braucht das Digitale Bühne Projekt für die nächste Entwicklungsphase?

Julian Klein. Je mehr Mitglieder an der Gemeinschaft, die sich rund um die Digitale Bühne gebildet hat, teilnehmen, desto leichter fällt es allen, sich die neuen Möglichkeiten zu erarbeiten. Wenn man finanzielle Mittel zur Verfügung hat, dann kann man auch in der Software-Entwicklung sehr vieles ermöglichen. Und da wir unserem initialen Gedanken der Gemeinnützigkeit treu bleiben wollen, würden wir uns freuen, wenn sich weitere Bundesländer am Projekt beteiligen, und wenn wir vom Bund und den Ländern, aber auch international weitere Unterstützung bekommen.

Teil 1 des Gesprächs erschien im Newsletter August 2022.

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