Die European Choral Association

Ein Einblick in das Digitale-Bühne-Netzwerk

„Wir stehen für die ganze Pyramide des Chorgesangs“, sagt Sonja Greiner, Generalsekretärin der European Choral Association, „von der Spitze der professionellen Chöre bis zur breiten Basis der Amateure.“ Die European Choral Association ist ein Dachverband für nationale und regionale Chorverbände aus 30 Ländern in Europa plus Israel, er umfasst Kirchen- und Oratorienchöre ebenso wie Schul- und Hochschulchöre, freie Chöre, Gesangsvereine und den ganzen Bereich des Vocal Jazz und Vocal Pop. Die Arbeit der European Choral Association reicht zurück in die 50er Jahre, als sich Chorleiter aus Ländern, die am Krieg beteiligt waren, trafen und ein Festival für Chöre planten. 8 bis 10 Tage sollten Menschen aus verschiedenen europäischen Kulturen miteinander und füreinander singen, gemeinsam Zeit verbringen, lernen und Freundschaften schließen. Seit 1961 findet das Festival alle drei Jahre statt, jedes Mal in einem anderen Land, mit Unterbrechung durch die Pandemie. Das gemeinsame Singen verbindet die Menschen, von der kleinen Gruppe des einzelnen Chors bis hin zum kulturellen Austausch auf Europa-Ebene. „Da entsteht das Gefühl, wir sind eine Gruppe, gemeinsam produzieren wir etwas, was jeder einzelne von uns nicht könnte.“ Chöre sind oft von dem Wunsch motiviert, einen soziale Bindung zu erreichen und Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, Gruppen und Generationen zu integrieren. In vielen Formen schafft der Chorgesang aus sich heraus neue soziale Räume.

Seit den 90er Jahren fördert die European Choral Association die Chormusik auch durch ein breites Angebot der Weiterbildung in Kursen, Workshops und Masterclasses. Und in den letzten Jahren vertritt die EAC den Chorsektor verstärkt auch im Rahmen der EU und in den Medien. Als die Chöre in der Pandemie nicht mehr gemeinsam proben konnten, wurde die European Choral Association Entwicklungspartnerin der Digitalen Bühne. „Eines unserer Ziele ist es, herauszufinden, was in Europa als Inspiration und Beispiel dienen kann. Das ist der Grund, warum wir uns mit der Digitalen Bühne verbunden haben, denn sie bietet etwas, das unsere Mitglieder im Chorbereich brauchen.“ Im Lockdown machte es die neue Technologie den Chören möglich, online weiter gemeinsam zu proben: Die Digitale Bühne stellt einen Klangraum her, in dem sich alle Mitglieder eines Chors in hoher Klangqualität hören können. Der Chor muss sich dafür allerdings daran gewöhnen, Kopfhörer, Mikrofon und Lautsprecher zu verwenden, womit Amateure oft nicht vertraut sind. Chorleiter:innen aus dem Vocal Jazz und Vocal Pop sind eher gewohnt, mit diesem Equipment umzugehen, als die Kolleg:innen aus anderen Bereichen, aber die European Choral Association unterstützt hier durch Fortbildungsangebote.

Auch nach der Lockerung der Pandemie-Auflagen proben viele Chöre weiter digital und vor allem in  hybriden Formen, wo ein Kernchor live singt, vielleicht mit Raumbegrenzungen, und andere Chormitglieder digital dazugeschaltet sind. Das gemeinsame Online-Proben schont die Umwelt und spart Reisekosten, eröffnet aber auch ganz neue Möglichkeiten. So können junge Menschen, die in einem Jugendchor gesungen haben, nach Ende ihrer Schulzeit aber nicht mehr am selben Ort sind, weiter gemeinsam singen, und ein Chor, der an kulturellem Austausch interessiert ist, kann mit einem Chor aus dem Ausland gemeinsam proben. Ein begrenzender Faktor kann dabei, neben einer schlechten Internetverbindung, auf Dauer auch die fehlende persönliche Nähe sein. „Gemeinsames Singen hat auch viel damit zu tun, dass ich die Menschen links und rechts von mir spüre, dass eine persönliche Verbindung da ist. Das ist beim digitalen Proben ab einem gewissen Punkt nicht mehr reproduzierbar.“ Für eine Zeit nach der Pandemie ist daher vorstellbar, dass ein Chor einige Male online probt und sich dann für die letzten Proben und die Konzerte wieder live trifft. In der hybriden Form kann ein Chor eine Chorleiterin aus dem Ausland einladen, um ihren spezifischen Stil kennenzulernen, oder Chormitgliedern, die auf Reisen sind, die Möglichkeit bieten, trotzdem an einer Probe teilnehmen. „Auch nach der Pandemie wird die Digitale Bühne von ausgewählten Chören für ausgewählte Situationen und Projekte eingesetzt werden und dafür sehr nützlich sein.“

Im weiteren Ausblick eröffnet die neue Technologie aber auch neue künstlerische Formen und Formate. Sonja Greiner gehört einer Arbeitsgruppe der EU zum Thema „Digital Audiences“ an, die sich nicht darauf beschränkt, physische Veranstaltungen 1:1 ins Internet zu übertragen, sondern auf neue kreative Möglichkeiten für die Musiker:innen und neue Erfahrungen für das Publikum zielt. Ein interessantes neues Arbeitsfeld sind die hybriden Live-Konzerte, wo ein Teil der Musiker:innen  digital zugeschaltet ist. So wie der traditionelle Kirchenraum als Klangraum für die Orgel und den Kirchenchor ausgelegt ist, kann man mit den digitalen Gestaltungsmitteln Klangräume für eine neue Gesangserfahrung entwerfen. „Ich kann damit spielen, was die Technik möglich macht, und was das Medium mir bietet, und dann passe ich mein Programm daran an, genauso wie ich es an einen Raum anpasse und nicht das gleiche Repertoire in einem Theater und in einer Kathedrale singe.“

Mitmachen und ausprobieren