Das MONAS Kollektiv. Kurt Holzkämper im Gespräch

von DigitaleBuehne_Admin

Die Digitale Bühne im Test:

Die Digitale Bühne im Test

Foto: Mirko Jörg Kellner

Das MONAS Kollektiv. Kurt Holzkämper im Gespräch

Während seiner Ausbildung als Jazzmusiker an der Hochschule für Musik Würzburg war Kurt Holzkämper fasziniert von der Kraft der Improvisation und hatte weniger Interesse daran, ein klassisches Repertoire zu lernen. „Im Jazz gibt es wie in der Klassik festgelegte Ensembleformen, wie zum Beispiel das Trio oder das Quartett, mit ihren typischen Instrumentierungen, Vorbildern und Regeln. Ich fand diese Normen schon im Studium zu eng und habe später als Dozent gesehen, dass dieser ‚goldene Käfig‘ viele Vorteile bietet, mir persönlich aber darin das Gefühl der Authentizität fehlt.“ Kurt gestaltete daher Projekte, die neue Wege möglich machten. Mit dem Stepptänzer Thomas Marek zum Beispiel hat er über 20 Jahre vier abendfüllende Programme für Tanz und Bass („tap-n-bass“) erarbeitet, und während der Pandemie sind im Projekt „Public Parks“ Bild- und Klangportraits entstanden, in denen Elemente der Parks selbst zu Instrumenten wurden. „Wir haben viel mit Elektronik experimentiert, wir haben Gastmusiker eingeladen. Wir haben in alle Richtungen geforscht, weil es keine Vorlagen gab.“ 

Nicht nur in den musikalischen Ausdrucksformen suchte Kurt neue Möglichkeiten - auch die Themen, mit denen er sich musikalisch auseinandersetzte, sollten am Puls der Zeit sein. „Im traditionellen Studium der Jazzmusik wird eine Musik, die ihren geschichtlichen Kontext hatte, die aus einem bestimmten gesellschaftlichen Hintergrund entstanden ist, in der Erinnerung beibehalten. Ich habe hohen Respekt für alle, die sich mit Leidenschaft in dieser Erinnerungskultur engagieren, aber ich selbst war auf der Suche nach Themen, die uns hier und jetzt angehen.“ Als Kurt 2018 mit dem Pianisten Chris Geisler und dem Lichtkünstler Laurenz Theinert ein multimediales Konzert im Wasserturm Bernau spielte, lernte er Hubert Wiggering kennen, der als Geologe auf der Suche war nach neuen Wegen, Erkenntnisse der Wissenschaft in die Gesellschaft zu vermitteln. In einer ersten Kooperation entstanden zunächst die „Ackerkonzerte“, bei denen Kurt GSR-Sensoren einsetzte, um Getreidehalme und Böden als Klangquellen einzubeziehen. „Nach dem Vorbild der Lügendetektoren, die Feuchtigkeitsunterschiede der Haut an den Händen aufzeichnen, messen die Galvanic Skin Response-Sensoren Spannungsunterschiede von organischen Oberflächen überhaupt. Ich hatte damit schon gearbeitet, als ich mit einem Musiker spielte, der eine kleine Holzbühne an seinem Anhänger überall hin transportieren konnte. Ich hatte dafür Musik zum Thema Heimat komponiert, und wir haben sie draußen auf dem Feld gespielt, wie dann später auch die Ackerkonzerte.“

Als Hubert Wiggering vorgeschlagen hat, mit Mooren als Klangkörpern zu arbeiten, entstand das MONAS Kollektiv. Kurt bat Martin Stahl, den IT-Spezialisten im Kollektiv, den GSR-Sensor zu analysieren, und es stellte sich heraus, dass das marktübliche Modell einige Zufallsgeneratoren enthält, die die Messwerte stark verändert ausgeben - dazu bietet der Hersteller eine Software an, die die Daten in Klänge umsetzt. „Die Werte aus der Natur werden vermenschlicht, in dem Gerät kommt die ganze Romantik unserer Vorstellung, was Natur sein soll, zum Ausdruck. Aber warum erwarten wir, dass die Natur uns so schöne Klänge vorspielt?“ Martin Stahl hat daraufhin den GSR-Sensor so umgebaut, dass er die realen Messwerte ausgibt, und er hat auch weitere Sensoren für andere Messungen passend bereitgestellt. MONAS kann damit in der natürlichen Umgebung Oberflächenspannung, CO2- und Methangehalt (die wichtigsten Werte für die künstlerische Arbeit mit Mooren) messen, aber auch Bodentemperatur, Bodenfeuchtigkeit, Luftdruck, Wind und Lichteinfluss - Merkmale, die lebendige Prozesse abbilden. „Wir waren dann mit einem Renaturierungsprojekt, dem „Bergwaldprojekt“, eine Woche im Naturpark Jasmund auf Rügen im Moor und haben das faszinierende Biotop mit Mikrofonen und Sensoren als Klangkörper erschlossen. Das Moor ist für uns ein Akteur der ländlichen Umgebung, der uns Klangspuren gibt, auf die wir in verschiedenen Formaten antworten.“

Kurt Holzkämper im Projekt Moore hören (Foto: Maria Schmid)

Ein zentrales Element ist dabei die musikalische Improvisation, die im Dialog mit dem natürlichen Klangkörper Stereotypen der Jazz-Improvisation hinter sich lässt. „Ich bin der Kritik von Adorno nah, der sagte, dass die Jazzmusik seiner Zeit nicht wirklich improvisiert, sondern nur Patterns und Clichés in verschiedenen Formen neu zusammensetzt - was viele Musiker:innen heute wiederholen. Es ist eine Form von Interpretation, aber mit einem vorgegebenen Bausatz.“ Im Flow der Improvisation lösen sich Kurt und andere Mitglieder des MONAS Kollektivs einerseits von musikalischen Normen, andererseits kommen ihnen aber in den Klangspuren des Moors auch keine Clichés entgegen. Die Daten der Sensoren werden ausgelesen, kalibriert und in ein Format übersetzt, das für eine Musik-Software lesbar ist. So bilden sie ein unvorhersehbares Gegenüber für die Improvisation. „Die Zeitachse beim Improvisieren verbindet Erwartung und Überraschung. Wenn ich nur mit Erwartung arbeite, wird meine Geschichte langweilig. Wenn ich nur mit Überraschung arbeite, ist das Publikum schnell überfordert. Als Zuhörer möchte ich mich gern entweder am Rhythmus festhalten, und/oder an der Melodie, der Anordnung der Töne. Die Daten aus dem Moor haben eine eigene Rhythmussprache, mit der wir Geschichten erzählen können, die sich nicht um uns drehen.“

Im Rahmen eines Konzerts in der Galerie Urholz hat MONAS 2023 den MoorReaktor eingeführt, ein kleines Aquarium, das Moor und GSR-Sensoren enthält. „Wir wollten gern mit Live-Daten arbeiten und das Publikum in einen aktuellen Austausch mit Moor-Elementen einbeziehen. Ich habe am Bass mit Phillip Staffa an der Gitarre und dem MoorReaktor in der Mitte des Raums gespielt, das Publikum war um uns herum und konnte über das visuelle Element das Moor als Instrument nachvollziehen.“ 

In seiner Zusammenarbeit mit dem iranischen Zeichner Mehrdad Zaeri hat sich Kurt auf die Langsamkeit konzentriert, die Naturprozesse kennzeichnet. Im Programm „Konzert für Amazonien“ waren beide etwa sieben Jahre mit Grupo Sal aus Nicaragua und dem indigenen Stammeshäuptling Abadio Green auf Tournee - der Schamane erzählte von seinem Naturbezug, Kurt spielte mit Grupo Sal Musik und Mehrdad Zaeri produzierte Live-Projektionen, die von großer Langsamkeit geprägt waren. „In der Performance ‚Die letzten schönen Tage‘ haben wir uns 2019 mit Liebe und Tod auseinandergesetzt, Mehrdad zeichnete Szenen, und ich habe am Bass gespielt, was mir gerade einfiel. Wir haben nichts verabredet, es war reine Improvisation. Es war die gelebte Ruhe.“ Was können wir von der Langsamkeit der natürlichen Umgebung lernen, und welche Wirkung kann sie auf die Gestaltung unseres Lebens haben?

Am 26. September 2024 plant das MONAS Kollektiv, in Zusammenarbeit mit teatreBLAU und der Digitalen Bühne im Theater am Rand, auf dem platten Land im Oderbruch, die Uraufführung seiner neuen Klang-/Video Performance „Chronik der Langsamkeit“ zu zeigen. Der MoorReaktor und Sensoren in der Umgebung des Theaters sollen ein Klangbild ergeben, auf das gelesene Texte, unter anderem von Hubert Wiggering, und Kurts Improvisationen am Bass antworten und Stellung beziehen. Eine Kamera im MoorReaktor soll Mikro-Organismen vergrößert auf eine Leinwand projizieren, an der vorbei das Publikum in die Landschaft sehen kann. Vor der Performance sollen eingespielte Video-Sequenzen Einblick in das Umfeld des Theaters geben. Die Uraufführung soll über die Digitale Bühne gestreamt werden, so dass ein internationales Publikum an ihr teilhaben und sich anschließend auch an der Diskussion beteiligen kann. „Wir wollen die natürliche Umgebung als einen Akteur in seiner Langsamkeit erfahrbar machen, und dabei ist uns bewusst, dass unsere Lebenszeit viel kürzer ist als die Zeit der natürlichen Prozesse. Ich möchte keine Romantisierung der Natur in schönen Tonläufen geben, was wieder eine normierte Interpretation der Landschaft wäre, sondern ich suche den Dialog mit einem anderen Klangraum, der vielleicht sperrig, vielleicht spröde, auf jeden Fall aber ungewöhnlich ist.“

Zurück zur Newsübersicht

Mitmachen und ausprobieren